Mittwoch, 14. Mai 2014

Diskriminierung in der Mitte Europas

Dass LGBT-Menschen nachwie vor negative Erfahrungen im Alltag machen, belegt eine im letzten Jahr präsentierte Studie. Die österreichische Gesetzeslage zum Schutz dieser Menschen vor Diskriminierung hat sich aber nach wie vor nicht verbessert.

Wolfgang Wilhelm BILD: Wiener Antidiskriminierungsstelle für gleichgeschlechtliche und transgender Lebensweisen

„Allein schon, dass es sie gibt, ist erfreulich. Mit 93.000 Befragten ist es die größte jemals durchgeführte Studie zum Thema Diskriminierung von LGBT-Menschen“, sagt Wolfgang Wilhelm von der Wiener Antidiskriminierungsstelle für gleichgeschlechtliche und transgender Lebensweisen (WASt) über die europaweite Studie der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte.  „Sie hat ein Bewusstsein dafür geschaffen, dass noch vieles im Argen liegt und damit auch einen Auftrag formuliert“, kommentiert er die Ergebnisse der Studie.
Dass LGBT-Menschen nachwie vor negative Erfahrungen im Alltag machen, belegt eine im letzten Jahr präsentierte Studie. Die österreichische Gesetzeslage zum Schutz dieser Menschen vor Diskriminierung hat sich aber nach wie vor nicht verbessert.

Österreich im Mittelfeld
Europaweit geben etwa die Hälfte der Befragten an, im Vorjahr der Umfrage aufgrund ihrer Sexualität diskriminiert oder belästigt worden zu sein. Besonders stark betroffen sind davon lesbische Frauen, junge und einkommensschwache Menschen. Österreich liegt dabei nicht nur geographisch, sondern auch bei den Ergebnissen in der Mitte Europas. Wilhelm spricht von einem Nord-Süd und einem Ost-West Gefälle bei der Rechtslage und den konkreten Lebensbedingungen von LGBT-Personen. „Die nördlichen und westlichen EU-Staaten bemühen sich schon länger und intensiver um den Schutz von LGBT-Personen. In Österreich hat diese Entwicklung verspätet eingesetzt, zudem haben die einzelnen Länder Europas eine sehr unterschiedliche Demokratiegeschichte“, sagt er.

Diskriminierung am Arbeitsplatz
Auch der Arbeitsplatz ist von Benachteiligungen nicht ausgenommen. Ein Fünftel gab an, sich am Arbeitsplatz oder bei der Arbeitssuche diskriminiert gefühlt zu haben, bei Menschen, die sich als Transgender beschreiben, sogar ein Drittel.
Zwei Drittel aller Befragten berichten von negativen Kommentaren oder negativer Behandlung gegenüber LGBT-Personen am Arbeitsplatz. Nur jede/r fünfte gab an, am Arbeitsplatz oder in der Schule offen mit der eigenen sexuellen Orientierung umzugehen. Die Zahlen legen auch nahe, dass der Druck auf bi- oder homosexuelle Männer besonders groß ist – sie verschweigen ihre sexuelle Ausrichtung besonders häufig. Obwohl Diskriminierung am Arbeitsplatz hierzulande gesetzlich verboten ist, liegt Österreich auch hier nur im Mittelfeld.

Brennpunkt Schule
Dieser Normalitätsdruck setzt bereits in der Schule ein und ist dort sogar noch stärker ausgeprägt. Der Studie folgend geben zwei Drittel der Befragten an, während ihrer Schulzeit bis zum Alter von 18 Jahren ihre sexuelle Ausrichtung versteckt zu haben. Sechs von zehn erfuhren negative Behandlungen aufgrund ihrer gleichgeschlechtlichen Orientierung. „Das Heranwachsen ist eine Phase der Identitätssuche, in der der Zwang „normal“, also hetero zu sein, besonders groß ist“, sagt Wilhelm.
Eine Studie über Österreich zeigt etwa, dass homosexuelle im Vergleich zu heterosexuellen Jugendlichen ein siebenfach erhöhtes Selbstmordrisiko aufweisen. Wilhelm hält dazu fest: „Die Pubertät ist für keinen Jugendlichen leicht. Wenn sie dann auch noch feststellen, dass sie schwul oder lesbisch sind und oft hören, dass das schlecht sei, kann es schnell eng werden. Vor allem dann, wenn man Eltern hat, die das nicht wissen oder akzeptieren und es keine Möglichkeit für offene Gespräche gibt.“ In den Schulen für ein von Akzeptanz geprägtes Umfeld zu sorgen und Gesprächsmöglichkeiten in Notsituationen zu schaffen, ist daher auch im Moment eines der Hauptanliegen der WASt.

Gewalterfahrung und Sicherheitsgefühl
Diskriminierung, egal wo sie stattfindet, bereitet den Boden für Gewalt an LGBT-Personen. Ein Viertel aller Befragten gab an, im Verlauf eines Jahres mit Gewalt bedroht oder tatsächlich angegriffen worden zu sein. Dabei erstattet nicht einmal jedes fünfte Opfer Anzeige. Diese Erfahrungen schaffen ein Gefühl der Unsicherheit: Zwei Drittel der Befragten vermeiden es, in der Öffentlichkeit mit gleichgeschlechtlichen Partner-Innen Händchen zu halten. Die Hälfte der Befragten nimmt aus Angst vor Übergriffen Abstand davon, spezifische öffentliche Plätze aufzusuchen. Das gilt insbesondere für bisexuelle und schwule Männer. Noch fehlt in Österreich ein entsprechendes Bundesgesetz, um LGBT-Personen vor Hassverbrechen zu schützen und diese statistisch zu erfassen. Der bundesrechtliche Schutz vor Diskriminierung ist auf den Bereich Beschäftigung und Beruf beschränkt. Lesben und Schwule in einem Lokal nicht zu bedienen oder hinauszuwerfen, ist daher nicht verboten. Klingt weit hergeholt? Fast jede/r Fünfte gab an, innerhalb eines Jahres in einem österreichischen Gastronomiebetrieb diskriminiert worden zu sein.

Erschienen als Mediaplanet Beilage „Queer Life“ im Standard und hier.