Montag, 7. April 2014

Was Theater von Serien lernen kann

Nein, eine Bühnenfassung von "Lost" wird es vorerst nicht geben. Was das Theater von Serien lernen könnte, ob das überhaupt geht – und wenn ja, was genau, und was das mit ihrem aktuellen Stück „Previously On“ in der Garage X zu tun haben könnte, erklärt uns die Dramatikern Gerhild Steinbuch.

Bild: previouslyon-4_Kopie.jpg
"Previously On" BILD: Yasmina Haddad

Gerhild Steinbuch ist Dramatikerin, 1983 in Mödling geboren und wurde bereits mehrfach ausgezeichnet, ihre Stücke quer im deutschen Sprachraum gespielt, aber auch ins Englische übersetzt. Gerade ist sie wieder in Wien um ihre neue Arbeit „Previously On“ vorzubereiten, bei der sie neben Philine Rinnert und Sebastian Straub auch selbst als Performerin mitwirken wird.
Mitten im Endprobenstress haben wir sie getroffen, um mir ihr über Dinge zu reden für die sie im Moment (Endprobenstress!) sicher keine Zeit hat: Serien. Grund dafür ist nicht etwa ausgeprägter Sadismus unsererseits, den es natürlich auch gibt, sondern der Titel ihres neuen Stücks: „Previously On“. Wie der Titel nahe legt, könnte das nämlich auch was mit Serien zu tun haben. Was genau das sein könnte, verrät sie uns im Laufe des Gesprächs.

Wenn man deine Biographie betrachtet, fällt auf, dass sich da recht viele Stipendien, quasi in Serie, aneinanderreihen. Ist diese Episodenhaftigkeit etwas, dass das künstlerische Arbeiten überhaupt auszeichnet?
Man arbeitet ja immer episodenhaft, da man immer von Projekt zu Projekt arbeitet. Grundlegende Themen ziehen sich durch mehrere Projekte, Figuren lassen einen dann auch nicht so schnell los und tauchen in unterschiedlichen Konfigurationen in unterschiedlichen Produktionen wieder auf..

Was sind deine zentralen Themen?
Mich interessieren Übergriffigkeiten. Also im verbalen Sinn. Wo Sprache übergriffig wird und was aus einem heraus, was aus der Sprache spricht. Welche Strukturen stecken da drin, welche Macht. Daher suche ich mir unterschiedliche Szenarien, in denen ich dazu arbeiten kann.

Zeit zum Serienschauen hast du dann aber selber wohl weniger?
Also ich schau schon sehr gern Serien. In letzter Zeit jetzt nicht so viel, aber im Moment bin ich bei "Homeland" gerade ganz gut drinnen. Das mag ich auch ganz gern, weil das auch nicht so zuverlässig ist. Man glaubt immer es gibt eine gesicherte Struktur, aber die gibt es dann gar nicht. 

Und was sind deine Alltime-Favourites?
Ich habe ein bisschen einen Superhelden-Fimmel. Das wird man dem Abend auch ein wenig anmerken. Ich mag die erste Batman-Serie. Sowohl im Original, als auch in der Synchronfassung. Sonst natürlich auch noch "Buffy" oder "Twin Peaks". 

Twin Peaks finden ja irgendwie alle gut. Das muss man ja schon fast nicht mehr sagen. Bei Buffy gibt‘s da mehr Angriffsflächen ...
… was ich aber gar nicht verstehen kann. Zumindest dann, wenn man es im englischen Original schaut. Die haben es geschafft eine Serie für ein wahnsinnig großes Publikum, das einfach unterhalten werden will, zu machen und gleichzeitig eine zweite Ebene für ein Nischenpublikum einzuziehen. Die gehen auch toll mit dem Format um. Welche Frauenfiguren die haben und wie sich Teenager-Probleme in die Dämonenwelt hineinspiegeln, find ich großartig. Dann gibt es auch noch diese tolle Musicalfolge ...  Es gibt ja auch einen großartigen Essay von Dietmar Dath über Buffy.
 
Gibt es dann etwas, das du von diesen Serien fürs Theater mitnimmst?
Ich finde eher die Serien interessant, die sich nicht vor allem darum drehen einer Figur über eine bestimmte Strecke zu folgen, sondern bei denen die klassische Erzählstruktur die Folie für etwas anderes bildet. Ich mag etwa "Mad Men" sehr gern, weil es immer behauptet in einer längst vergangenen Zeit zu spielen aber viele der politischen Aspekte in der Handlung sind Referenzen auf das tagespolitische Geschehen der Gegenwart. Das finde ich interessant: dass dir etwas erzählt wird, aber damit gleichzeitig auch noch etwas ganz anderes. Konventionelle Geschichten als Folie zu verstehen. Das ist vielleicht auch etwas, was wir in das aktuelle Projekt mitgenommen haben.

Ist diese Vielschichtigkeit von Texten, wie etwa klassischerweise bei Shakespeare, wo der Text für unterschiedliche Zielgruppen funktioniert, etwas wo aktuelle Serien Theater überlegen sind?
Serien haben halt konsequent ihre Dramaturgie weitergedacht. Manchmal hab ich im Theater das Gefühl, dass man versucht einzelne Formate eins-zu-eins zu übernehmen, anstatt sich mit den Qualitäten des eigenen Mediums zu beschäftigen. Ich glaube, man muss versuchen am Medium konsequent weiterzudenken, anstatt blind das eine aufs andere zu übertragen. 

Kann man sich von Serien etwas in Punkto Erzählen abschauen oder muss man im Theater aufgrund des viel knapperen, zeitlichen Rahmens sowieso anders erzählen?
Man muss vielleicht anders erzählen, aber ein knapperer zeitlicher Rahmen heißt nicht, möglichst geschlossen oder einfach erzählen zu müssen. Man kann auch einfach mit dem Prozess des Erzählens offen umzugehen, ihn untersuchen und befragen. 

Darum wird es auch in der aktuellen Arbeit gehen?
Ja, wir versuchen bewusst offen zu legen, dass sich zu dritt diese Geschlossenheit des Erzählens nicht herstellen lässt. Die lässt sich im Theater ja sowieso nicht bewerkstelligen, weil immer Leute aufeinandertreffen, die jeweils eigene Perspektiven auf den Stoff haben. Es gibt bei unserem Abend bewusst keine Regie, die den Prozess von außen bündelt, die dann sagt „so und so und so“, also keine Vision, die dann den schönen Rahmen schafft. 

Das habt ihr in dieser Konstellation ja schon einmal erprobt…
Wir haben bereits einmal beim Steirischen Herbst eine ähnliche Arbeit gemacht, wo wir mit einem Wiederholungsprinzip gearbeitet haben. Der Abend lief im Loop, die Anlage war eher installativ. Und wir haben uns in der damaligen Arbeit mit der Konstruktion einer Geschichte- einer Heldenreise beschäftigt, die dann aufgebrochen und dekonstruiert wird. Im aktuellen Stück wollten wir das fortführen: Den installativen Charakter, die gemeinsame Konstruktion einer Geschichte, das Ansammeln von Erzählansätzen, die man versucht in eine Form zu kriegen. 

Auf dieses Serienprinzip verweist auch der Titel „Previously On“?
Der Titel verweist darauf, dass wir die Arbeit als Fortführung unserer ersten gemeinsamen Arbeit verstehen. Außerdem bezieht er sich darauf, dass jeder Abend eine neue Geschichte, neue Geschichten über einen Herrn P. erzählt, der uns als Sammelbecken und Rahmen dient; Geschichten, die in einer späteren Vorstellung wieder aufgegriffen, variiert oder weitererzählt werden können. 

Wie kann ich mir den Abend konkret vorstellen?
Wir – Sebastian – Performance, Philine – Raum – und ich – Text - sitzen gemeinsam an einem Tisch auf der Bühne, quasi unsere Gemeinschaftsinsel und spielen ein Spiel um die Erzählhoheit der jeweils nächsten Szene. Von dort aus entstehen dann Erinnerungen oder Konstruktionen der Geschichte des Herrn P., die wir aus unseren drei Perspektiven erzählen. Jeder von uns greift in den Abend ein und erzählt die Geschichte weiter, aber immer aus seinem Element heraus. Die Ebene an der alles hängt sind wir. Die Konstellation von drei Menschen, die gemeinsam eine Geschichte erzählen wollen, um sie wettstreiten oder dann doch versuchen eine gemeinsame, nicht lineare aber auch nicht beliebige Geschichte zu finden. Diese Zusammenarbeit aus drei unterschiedlichen Perspektiven ohne ordnende Instanz, in der sich Narrative verbinden oder eben nicht. 

Wie funktioniert Erzählen für dich im Idealfall?
Tatsächlich in einem solchen Gruppenprozess. Ich muss noch dazusagen, wir sind bei dem Projekt nicht alle auf derselben Linie, haben unterschiedliche Ansätze. Sebastian ist zum Beispiel ein großer Fan klassisch konstruierter Geschichten. Ich weiß, wenn ich nur für mich bin und ich jede Erzählung anzweifle, besteht die Gefahr, dass vielleicht überhaupt keine Erzählung mehr zustande kommt. Das Schöne an unserem Prozess ist eben dieses Abarbeiten an den unterschiedlichen Perspektiven auf das Erzählen, das gezielte Nutzen der unterschiedlichen Ansätze und Vorlieben. Ich finde gerade dieses Zusammenspiel eine gute Art zu erzählen. 

Woher kommt deine Lust am nichtlinearen Erzählen oder am Dekonstruieren linearer Erzählungen?
Bei mir ist es so, dass ich mein eigenes Leben nicht in einer so klassischen Narration erzählen könnte und mich da nicht wiederfinde. Ich denke, man muss andere Formen finden, in denen Parallelerzählungen möglich sind, mehrere Wirklichkeiten. Oder zwei Parallelfiguren oder sogar mehrere. So nehme ich zumindest meine eigene Lebensrealität wahr.

Previously On
Von und mit: Gerhild Steinbuch, Philine Rinnert, Sebastian Straub
Garage X, Termine: 9. bis 11. April jeweils 20.00 Uhr.

Erschienen auf TheGap.at.