In Österreich gilt eine der strengsten Regulierungen bezüglich Gentechnik und Reproduktionsmedizin. Lässt sie sich halten?
Schlechte Nachrichten für Fans
von Reality-Shows à la „Teenager werden Mütter“: Sexualität und
Fortpflanzung gehen getrennte Wege. Die Befruchtung findet nur mehr in
der Retorte statt. „In zwanzig bis vierzig Jahren, zumindest in der
entwickelten Welt, werden die meisten Babys mittels
In-vitro-Fertilisation (IVF) gezeugt werden, damit ihre Eltern zwischen
unterschiedlichen Embryonen wählen können“, erklärte zu Beginn des
Jahres Hank Greely, Professor an der Stanford Law School. Eltern könnten
so sicherstellen, dass ihr Nachwuchs eine gewünschte Genkombination mit
auf den Lebensweg bekommt. Krankheiten, vor allem jene, die durch ein
einziges Gen ausgelöst werden, können ausgeschlossen werden.
Gen-Abgleich für Spender von Ei und Samen
Die Zukunft soll noch mehr
bringen: Greely glaubt, dass die Entschlüsselung des Genoms so weit
kommt, dass sich damit auch Wahrscheinlichkeitsaussagen über bestimmte
Begabungen treffen lassen. Passend dazu hat der US-amerikanische
Genanalysedienst „23andMe“ im Oktober 2013 in den USA ein Patent für
eine auf Gendiagnostik basierende Auswahl von Samenspender oder
Eizellenspenderinnen erhalten.
Dass Samenbanken Aufschluss über die
Charakteristika ihrer Spender geben, ist nicht neu. Das von „23andMe“
patentierte Service geht aber darüber hinaus: Die DNA von Männern und
Frauen wird in Beziehung gesetzt, um Prognosen über potenzielle
gesundheitliche Risiken, aber auch Charaktermerkmale zu erstellen. Das
Unternehmen räumt freilich ein, dass die Prognose schwammig ist, da sich
diese Anlagen erst in einem komplexen Zusammenspiel mit der Umwelt
entwickeln. Viele ExpertInnen glauben, dass das auch so bleiben wird.
Lauter Albert Einsteins und Stephen Hawkings?
Aber es gibt auch andere. BGI,
das Beijing Genomics Institute, versucht mit seinem Cognitive Genomics
Projekt der genetischen Basis menschlicher Intelligenz auf die Spur zu
kommen. Stephen Hsu, Mitarbeiter des Projekts und Vizepräsident für
Forschung an der Michigan State University, kann sich sogar vorstellen,
dass es nicht nur beim Entschlüsseln dessen bleibt, was den Unterschied
zwischen „Albert Einstein und Es-nicht-aufs-College-schaffen“ oder
zwischen „Stephen Hawking und einem durchschnittlichen Menschen“
ausmacht.
„Wäre es nicht erstaunlich, wenn
man mit gewissen Optimierungen in utero die Leistungsfähigkeit unseres
Gehirns verbessern könnte?“, fragt Hsu im New Yorker über die
Möglichkeit, menschliche Intelligenz durch geringe Manipulationen zu
verbessern. Dass Hsu gerade den Physiker Stephen
Hawking in seinem Beispiel verwendet, wirkt paradox. Hawking leidet an
Amyotropher Lateralsklerose, einer degenerativen Erkrankung des
motorischen Nervensystems. Sie wird mit Mutationen in verschiedenen
Genen in Zusammenhang gebracht. Ob ein Embryo mit diesen Mutationen in
einem Szenario, wie es Hsu beschreibt, überhaupt transplantiert werden
würde, ist fraglich. Wahrscheinlich hätte Hsu gar keinen Vergleich mit
Hawking anstellen können, weil der nicht geboren worden wäre.
Zu arm, um sich optimalen Nachwuchs zu kaufen
Dass die menschliche
Fortpflanzung zukünftig nur mehr mittels IVF und
Präimplantationsdiagnostik (PID) praktiziert werden wird, hält Uta
Wagenmann, Expertin für Gentechnik und Medizin des Gen-ethischen
Netzwerks, einer Nichtregierungsorganisation, die sich seit fast dreißig
Jahren kritisch mit Biopolitik und Gentechnik beschäftigt, für eine „alberne Fantasie“.
„Das ist eine zutiefst bürgerliche Vorstellung, die vielleicht einen Teil der besser
gestellten Mittelschicht betrifft“, sagt Uta Wagenmann. „Wenn so etwas
an die Wand gemalt wird, ist das jenseits von dem, wie die Gesellschaft
funktioniert. Die Menschen kaufen sich in der Regel keinen Nachwuchs.
Abgesehen davon sind viel zu viele dafür einfach zu arm.“ So werden
allein in den USA mehr als vierzig Prozent aller Babys von ledigen
Frauen geboren – und diese gehören mehrheitlich zur Unterschicht. Auch
die Zahl ungewollter Schwangerschaften legt nahe, dass Fortpflanzung
häufig nicht planvoll verläuft.
Trotzdem haben Szenarien, die den Einsatz
von Genmanipulation vorsehen, Bedeutung. Die Abgrenzung von extremen
Szenarien erlaubt es WissenschafterInnen, sich selbst als
verantwortungsvoll und die eigenen Wünsche und Ideen als vernünftig zu
präsentieren. Uta Wagenmann hält die Beschäftigung mit diesen Szenarien
nicht für vorrangig, da sie nur von der gegenwärtigen Realität der
Gendiagnostik ablenke.
Kein Konsens darüber, was menschliches Leben ist
Letztlich regelt die jeweils
gültige Gesetzgebung die Praxis der Gendiagnostik. Sie ist immer auch
Ausdruck gängiger kultureller und religiöser Überzeugungen. „Alle
Weltreligionen unterscheiden sich ganz grundsätzlich, wenn es um die
Frage geht, wann schützenswertes, menschliches Leben beginnt. Dies hat
enorme Auswirkungen auf die internationale Diskussion rund um PID oder
embryonale Stammzellenforschung“, sagt Markus Hengstschläger,
stellvertretender Vorsitzender der Bioethikkommission und Professor für
medizinische Genetik an der MedUni Wien. „Die meisten Welt-religionen haben damit kein Problem. Andere, wie etwa auch die katholische Kirche, schon.“
In der Debatte um die Regulierung von
Forschung und Anwendung verweisen ForscherInnen immer wieder auf China
und den asiatischen Raum. Hier herrschen sehr liberale Gesetze. „Im
Buddhismus und Hinduismus wird die Frage nach dem Individuum, nach dem
Personsein und der Einmaligkeit des Menschen so gar nicht gestellt“,
erklärt Matthias Beck, Professor für Theologische Ethik an der
Universität Wien.
Doch auch die monotheistischen Religionen
weisen erhebliche Unterschiede auf. Eine Frage, die vor allem die
Stammzellenforschung berührt, ist jene nach dem Zeitpunkt der
Menschwerdung des Embryos. Beck erklärt, dass Judentum und Islam
weitgehend der aristotelischen Beseelungslehre folgen und daher sehr
liberale Positionen einnehmen. Der Theorie der Sukzessivbeseelung folgend,
würde sich der Mensch in Stadien entwickeln: Der Embryo habe zuerst
eine Pflanzen-, dann eine empfindungsfähige Tier- und schlussendlich
eine vernunftbegabte Menschenseele. Männliche Embryonen würden die
Menschenseele 40, weibliche 90 Tage nach der Empfängnis erhalten. „Das
ist eine alte Philosophie, die auch Thomas von Aquin im Mittelalter
übernahm. Die Christen haben das mittlerweile korrigiert. Sie sagen, von
Anfang an entwickelt sich der Mensch als Mensch und nicht erst ,zum‘
Menschen“, erklärt Beck.
Der Vergleich zwischen den USA und Deutschland
Die Soziologen Jürgen Gerhards
von der Freien Universität Berlin und Mike S. Schäfer von der
Universität Zürich erstellten eine Studie zur öffentlichen Debatte über
die Humangenomforschung in Deutschland und den USA. In der deutschen
Debatte fällt die Befürwortung dieses Forschungszweigs schwächer aus als
in den USA, und sie wird kritischer gesehen. In beiden Ländern
dominieren wissenschaftliche und medizinische Betrachtungsweisen die
Debatte. Unterschiede gibt es in der Gewichtung der Blickwinkel: In den
USA werden neben wissenschaftlichen Aspekten auch ökonomische stärker
betont. In Deutschland sind dagegen politische, ethische und moralische
Deutungen präsenter. In den angelsächsischen Ländern gelten trotz
christlicher Traditionen lockere Regelungen.
Neben philosophischen oder religiösen
Überzeugungen sind auch historische Erfahrungen von Bedeutung. „Während
in den USA eine sehr liberale Vorstellung vorherrscht, gibt es in
Deutschland einen kritischen Diskurs rund um die Medizin, der sehr stark
von der nationalsozialistischen Vergangenheit und den Erfahrungen mit
Eugenik und Euthanasie bestimmt ist“, sagt Uta Wagenmann. „Diese Kritik
wurde öffentlich und auch innerhalb der Medizin erst wirklich wahr- und
ernstgenommen, als sich das Aufkommen gendiagnostischer und
reproduktionsmedizinischer Technologien abzeichnete. Deren Beschränkung
war deshalb damals absolut gesellschaftskonform, was sich seit etwa drei
Jahren aber deutlich ändert.“
In Österreich ist alles etwas rückständiger
Zu dieser Zeit machte man auch
in Deutschland einen Schritt in Richtung Liberalisierung: Ein
Gerichtsurteil in Folge der Selbstanzeige eines Arztes führte zur
Aufweichung des Verbots von PID. Diese ist nun in Ausnahmefällen
gestattet. Uta Wagenmann ist skeptisch, ob es tatsächlich bei
Ausnahmefällen, die ohnehin breit definiert seien, bleiben wird. PID ist
grundsätzlich verboten.
Es gibt aber gendiagnostische
Untersuchungen, die bereits jetzt durchgeführt werden dürfen. Im
„Neugeborenenscreening“ werden Kinder auf die monogenetische Erkrankung
Phenylketonurie untersucht. Mit einer entsprechenden Diät können
Betroffene einer späteren Erkrankung entgegenwirken.
Bei den
vorgeburtlichen Tests gibt es dagegen keine Therapiemöglichkeiten. Dazu
zählen die Polkörperanalyse, also die genetische Diagnose der Eizelle im
Rahmen einer In-vitro-Fertilisation. Beeinträchtigte Eizellen werden
von der IVF ausgeschlossen. Auch die DNA des Embryos wird getestet.
Diese kann bereits binnen der ersten drei Schwangerschaftsmonate aus dem
Blut der Mutter extrahiert werden, um im Anschluss auf Trisomie 21,
auch bekannt als Down-Syndrom, aber auch andere chromosomale
Veränderungen untersucht zu werden. Das führt oft dazu, dass Kinder mit
Beeinträchtigungen gar nicht erst zur Welt kommen.
Österreich braucht dringend Reformen
„Aus meiner Sicht entspricht die
österreichische Situation nicht mehr dem aktuellen Stand der
Wissenschaft“, sagt der Genetiker Markus Hengstschläger. „Das hiesige
Fortpflanzungsmedizingesetz gehört unbedingt und dringend reformiert.
Wir haben auch vonseiten der Bioethikkommission dazu bereits eine
entsprechende Empfehlung erarbeitet.“ Die gängigsten Argumente für die
Legalisierung von PID sind die medizinischen Vorteile: Durch den
Ausschluss von Embryonen mit Gendefekten könnten
Schwangerschaftsabbrüche in genetisch vorbelasteten Familien vermieden
werden und die Erfolgsrate der künstlichen Befruchtung erhöht werden.
Für die Patientinnen bedeutet dies eine Minimierung von Fehlschlägen und
weniger Stress. Außerdem möchte man der Nachfrage von Patientinnen
entsprechen.
Der Bedarf an reproduktionsmedizinischen
Leistungen wird künftig aufgrund der mit zunehmendem Alter sinkenden
Fruchtbarkeit wohl weiter wachsen. Das Durchschnittsalter der
Erstgebärenden stieg zwischen 1991 und 2012 um fast vier Jahre an und
liegt nun bei knapp 29 Jahren. „Im Moment, wo gewisse Techniken in den
Nachbarländern, nicht aber in Österreich möglich sind, ist eine
Ungleichbehandlung gegeben, da nur Besserverdienende ins Ausland reisen
können, um diese zu nützen“, sagt Christiane Druml, Vorsitzende der
Bioethikkommission des Bundeskanzlers und Vizerektorin der MedUni Wien.
„Dies entspricht nicht dem Prinzip der Gerechtigkeit.“
Forderung nach dem Schutz ungeborenen Lebens
Der Theologe Matthias Beck sieht
durch die Gentechnik den, wie er sagt, „Dreiklang der Medizin:
Diagnose-Therapie-Prophylaxe“ durchbrochen: „Die Trisomie-21-Kinder
werden durch eine einzige Blutabnahme herausgefischt, wenn man so sagen
will, und dann in 95 Prozent aller Fälle einer Abtreibung zugeführt. Wir
stellen eine Diagnose, haben aber kaum eine Therapie. Auf viele
Diagnosen folgt einfach eine Abtreibung.“
Die Zulassung von PID für genetisch
gefährdete Paare würde diese Situation noch verschärfen. Dabei sei eine
genetische Disposition alles andere als eine Garantie für eine spätere
Krankheit. Mittels IVF würden nun Embryonen hergestellt und mittels PID
auf genetische Schäden untersucht. „Wenn ein Embryo einen Gendefekt hat,
wird er weggeworfen, wenn er diesen nicht hat, wird er eingepflanzt“,
so Beck. Mit dem Schutz ungeborenen Lebens – und dieses beginnt für ihn
bereits bei der Zeugung, auch bei jener im Glas – ist das nicht
vereinbar.
Es gibt kein Recht auf ein gesundes Kind
Auch Uta Wagenmann kritisiert
den selektiven Charakter von PID, folgt aber einer anderen
Argumentation: „Es gibt ein Recht auf Abtreibung. Es gibt auch ein Recht
auf Kinder, aber es gibt kein Recht auf ein gesundes Kind.“
Im Rahmen der Schwangerenvorsorge werden
immer mehr Untersuchungen durchgeführt. Sobald einer dieser Tests eine
Abweichung markiert, geraten Eltern und vor allem Frauen unter
Entscheidungsdruck. „Es wird nach bestimmten Eigenschaften des Embryos
und des werdenden Kindes gefahndet. Im Zusammenspiel von Technik,
Verunsicherung der Eltern und der allgemeinen Aversion gegen alles, was
nicht voll leistungsfähig und voll passend ist, findet letztlich eine
Selektion statt“, sagt sie. Die Angst vor Behinderung, die unserer
Gesellschaft ohnedies innewohne, würde in Krisenzeiten noch weiter
steigen – ebenso wie die Tendenz, Nachwuchs als Humankapital zu
betrachten.
Gibt es „verantwortungsvollen“ Gentechnikeinsatz?
Ein verantwortungsvoller Umgang
mit diesen Reproduktionstechnologien ist für Wagenmann in einem
gesellschaftlichen Kontext, der auf Wachstum, Konkurrenz und Markt
ausgerichtet ist, unwahrscheinlich. „Weil es immer Partikularinteressen
und ökonomische Interessen gibt und es darum geht, Dinge zu entwickeln,
sie zu verkaufen und in Umlauf zu bringen, halte ich ,Verantwortung‘ für
einen Nebenschauplatz“, meint sie. Technik entstehe in solchem Kontext
und bleibe einem Wachstumsdiktat unterworfen. Hinter der Befürwortung
von PID stünden eben auch ökonomische Interessen. Gerade
reproduktionsmedizinische Kliniken zielen auf hohe Erfolgsraten.
Für einen verantwortungsvollen Umgang
„müssten sich sehr viele Punkte ändern, die nur mittelbar mit
Gentechnologie zu tun haben: das Bild von Behinderung, die Vorstellung
von einem gelungenen Leben, die Fokussierung der Gesellschaft auf
Leistungsfähigkeit und Effektivität“, sagt Wagenmann.
Keine Aussicht auf eine intensive öffentliche Debatte
Alle GesprächspartnerInnen
wünschen sich eine intensivere öffentliche Debatte. Gegenwärtig scheint
sie nicht möglich: So wurde anhand des Nachrichtenmagazins Der Spiegel
analysiert, dass Medizin schon jetzt die Wissenschaftsberichterstattung
dominiert. Mehr Gentechnikberichterstattung ist nicht möglich, ohne die
Menge des Wissenschaftsjournalismus auszuweiten – und das ist mehr als
unwahrscheinlich. Außerdem belegen Studien, dass
WissenschaftsjournalistInnen dazu übergehen, nicht mehr umfassend zu
informieren, sondern den individuellen Nutzen medizinischer Anwendungen
in den Fokus zu rücken. Obgleich ethische und moralische Betrachtungen
in der Berichterstattung zunehmen, handelt es sich vorwiegend um eine
Nutzendiskussion.
Eine Diversifikation der Debatte würde
daher voraussetzen, die gesellschaftliche Situation in einem größeren
Zusammenhang zu betrachten. Wahrscheinlicher ist es, dass sich
Gentechnik und Reproduktionsmedizin durch das ständig steigende
Einkommensgefälle von selbst regelt. Kurz: Wer Geld hat, kauft das
perfekte Kind aus der Retorte. Die übrigen dürfen weiter Sex und
ungewollte Schwangerschaften haben.
Erschienen in Falter - Heureka Schluss mit Sex? (1/14)