| BILD: Nestroyhof Hamakom |
In Russland ist alles etwas größer, immer. Der Humor ist schwärzer,
die Liebe tragischer und das Betrunkensein rauschiger. Der Witz absurder
und geht öfter auf eigene Kosten, die Dialoge schärfer. Zumindest in
Iwan Wyrypajews Russland ist das so.
Die Thematische Klammer der Stücke des Autors aus dem sibirischen Irkutsk
und das grundlegende Motiv von Theater im Allgemeinen beschreibt er wie
folgt: „Ja, in allen Stücken geht es immer nur um die Liebe. Sie ist
das einzig Reale. Alles andere ist Blendwerk.“ In der konkreten
Ausformung wirkt das, anders als es klingt, nie platt oder abgedroschen.
Wyrypajev ist einer der wenigen der dem Thema etwas unklischiertes
entgegenzusetzen hat: neue Perspektiven, neue Metaphern, analytisch aber
mitfühlend. In „Karaoke-Box“ (Schauspielhaus Wien, 2010) treffen sich
zwei Android_innen in einer Karaoke-Bar, in „Illusionen“ (ebendort,
2013) rekapitulieren zwei alternde Ehepaare die Geschichte ihrer
Liebe(n).
Boy meets another girl
Die Situationen scheinen bei Wyrypajew nur anfangs einfach, die
Geschichten sind nie schnell erzählt, die Dialoge nie so eindeutig. So
auch diesmal: Aus boy-meets-girl wird schnell ein
boy-meets-another-girl. Was davon bleibt, nachdem besagter Herr,
Valentin, tot ist, bildet den Ausgangspunkt für den Versuch von Liebe zu
erzählen. Konkret: Die beiden früheren Rivalinnen, Valentina und Katja
feiern den 60. Geburtstag der erstgenannten. Katja schenkt Valentina ein
Gewehr. Das letzte Erinnerungsstück, das Katja von Valentin geblieben
ist, alles andere hat sie Valentina bereits verkauft.
Von dieser Situation ausgehend wird die Geschichte in Rückblenden
nach hinten gesponnen und die Historie dieser Dreierkonstellation nach
und nach aufgeblättert. Der historische Hintergrund ist dabei der
Vordergrund des Bühnenbilds. Auf der Projektionsfläche über der Bühne
wird das Zeitgeschehen bildhaft illustriert: von Lenin bis Putin über
Perestroika und Glasnost. Die Bühne selber ist ein im Laufe des Abends
wild durcheinander gewürfelter Haufen von Metallboxen, die als Tisch,
Sitzgelegenheit und Bett dienen, das Interieur der Wohnung genauso
illustrieren, wie die Straßen davor.
Tschechows Knarre
Gleichzeitig wird der Dialog der beiden Frauen immer wieder
vorangetrieben, die alten Zwiste und Rivalitäten aufgewärmt und die
Freundschaft, die die beiden Frauen mittlerweile füreinander hegen,
angedeutet. Es ist das, „miteinander nicht sein, aber ohne einander
nicht leben können“, dass alle Beteiligten in unterschiedlichem Maße
verbindet. Wyrypajev spielt bewusst mit der Logik von Tschechows Gewehr -
„Man kann kein Gewehr auf die Bühne stellen, wenn niemand die Absicht
hat, einen Schuss daraus abzugeben.“ -, um bewusst auf die Eskalation
der Geschichte zuzusteuern. Valentina richtet eine Flinte auf Katja –
ein Lauf mit Platzpatrone, der andere mit einer echten geladen. Nur
welche steckt wo?
Schlussendlich begibt sich Katja im silbernen Weltraumanzug auf eine
interplanetare Expedition, nachdem sie von Gott und dessen Prophezeiung
von Valentinas baldigen Ableben geträumt hat. Warum? Warum denn nicht.
Es ist auf jeden Fall eines der gelungensten Bilder des Abends: Ingrid
Lang – auch bekannt von anderen Bühnen – im Kosmonautenanzug mit Sauerstoffflasche, Akkordeon, Luftballon auf dem Weg gen Weltraum.
Diese szenische Dichte wird nicht in allen Passagen durchgehalten.
Phasenweise wünscht man den Schauspieler_innen mehr ausstatterische
Hilfsmittel oder andere inszenatorische Lösungen, um die Spielfreude des
Textes leichter schultern zu können, um sie beim Herausarbeiten der
Zäsuren zu unterstützen. Manchmal wirken die Worte in zwischen den
ganzen Metallboxen etwas verloren, so als würde sich der Text gegen die
Inszenierung oder die Spielweise sträuben. Das kann natürlich auch eine
positive Friktion sein aber die ist nicht immer erkennbar. Vor allem
Ingrid Lang gelingt es über weite Strecken Wyrypajews stilistische und
inhaltliche Meisterschaft einen Körper und eine Stimme zu leihen und das
Raffinierte in seinem Text fassbar zu machen.
Valentinstag – Iwan Wyrypajev
Inszenierung: Frederic Lion, Raum und Projektion: Andreas Braito,
Mit: Gabriele Dossi, Ingrid Lang, Harald Windisch, Musik: Karl Stirner,
Dramaturgie: Karl Baratta, Licht: Stefan Pfeistlinger, Kostüm: Lucie
Strecker, Regieassistenz: Georg Carstens
Weitere Vorführungen: Täglich bis inkl. 22. März
Erschienen auf TheGap.at.