Samstag, 1. Februar 2014

Umweltgefahr aus Übersee

Bei Umweltschutz und Lebensmittelsicherheit gelten in den USA andere Regeln als in Europa. Durch die „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ (TTIP) könnten die niedrigeren Standards Europa überrollen.

Das Chlorhuhn wurde zum Symbol der unterschiedlichen Standards in der EU und den USA, doch es stehen nicht nur Umwelt- und Verbraucherschutz, sondern auch Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auf dem Spiel“, erklärt Florian Schweitzer von Greenpeace die möglichen Auswirkungen des Abkommens „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ (TTIP). 1997 untersagte die EU die Einfuhr von Hühnerfleisch, das mit Chlor behandelt wurde. Die USA drängen nach wie vor auf eine Aufhebung des Verbots. Im Rahmen von TTIP könnte es dazu kommen.

Geheime Verhandlungen, unbekannter Inhalt
Welche Folgen TTIP wirklich hat, ist schwer einzuschätzen. Der konkrete Inhalt des Abkommens ist nämlich nicht bekannt. Die Verhandlungen werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt. Das erinnert fatal an jene des Anti-Counterfeiting Trade Agreements (ACTA). Auch sie waren geheim. Als die Öffentlichkeit schließlich davon erfuhr, war die Empörung so groß, dass ACTA ad acta gelegt wurde. „Man hat offenbar nichts gelernt“, sagt Schweitzer. „Industrielobbyisten wurden bereits im Vorfeld eingebunden, doch das Abkommen betrifft nicht nur Unternehmen, sondern uns alle.“

Niedrigere Standards für Europa
Die EU-Kommission will mit den USA die weltgrößte Freihandelszone schaffen und damit „globale Standards“ vorgeben. Zölle stehen kaum mehr im Weg. Sie machen nur einen Bruchteil des gemeinsamen Handelsvolumens aus. Auf der Agenda steht deshalb die Vereinheitlichung regulatorischer Standards. Gerade im Bereich des Umweltschutzes und der Lebensmittelsicherheit herrschen gravierende Unterschiede zwischen Europa und den USA. Dort gilt ein Produkt oder eine Technologie als sicher, solange nicht das Gegenteil bewiesen ist. In Europa muss jedoch zunächst die Unbedenklichkeit belegt sein.

Bedrohung für Gentechnik-Anbauverbote
Im Zentrum der Kritik stehen von der EU-Kommission geforderte Streitschlichtungsverfahren. Unternehmen soll es ermöglicht werden, außerhalb des bestehenden Rechtssystems direkt Staaten zu klagen, etwa wenn strengere Umweltgesetze deren Profite bedrohen. Derartige Investitionsschutzklauseln wurden bisher bei Abkommen mit Ländern geschlossen, deren Gerichte keine verlässlichen und fairen Verfahren garantieren können. „Solche Schiedsgerichte stellen sich über nationale Höchstgerichte. In einem Abkommen zwischen der EU und den USA sind sie völlig fehl am Platz. Unsere Gerichte sind unabhängig und garantieren auch ausländischen Investoren faire Verfahren“, erklärt Schweitzer.
Unternehmen erhalten damit eine zweite Chance, vor nebenberuflichen „Richtern“, die mehrheitlich als Rechtsanwälte für internationale Konzerne arbeiten, für Entscheidungen von Parlamenten Schadensersatz zu erhalten. Im schlimmsten Fall können Strafzahlungen so teuer werden, dass Gesetze aufgehoben werden müssen oder gar nicht in Kraft treten. „In Österreich können damit Anbauverbote für gentechnisch veränderte Pflanzen oder ein Verbot von Fracking zur Förderung von Schiefergas genauso verhindert werden wie ein Atomausstieg in Schweden“, warnt Schweitzer.

Aushebelung der Demokratie durch Konzerne
„TTIP ist undemokratisch“, zieht Schweitzer Resümee. „Die Verhandlungen sind intransparent. Mit den Schiedsgerichten können Konzerne im Hinterzimmer demokratisch legitimierte Entscheidungen aushebeln. Das Recht auf Profit würde über jenes auf eine nachhaltige Zukunft und intakte Umwelt gestellt.“ Greenpeace fordert daher, die Geheimverhandlungen zu stoppen. Ein erster Teilerfolg konnte schon erzielt werden: Nach einem Besuch des EU-Chefverhandlers in Wien kündigte die EU-Kommission an, die Verhandlungen um die umstrittenen Schiedsgerichte auszusetzen und eine öffentliche Konsultation darüber zu starten.