Bei Umweltschutz und Lebensmittelsicherheit gelten in den USA andere
Regeln als in Europa. Durch die „Transatlantic Trade and Investment
Partnership“ (TTIP) könnten die niedrigeren Standards Europa überrollen.
„Das Chlorhuhn wurde zum Symbol der
unterschiedlichen Standards in der EU und den USA, doch es stehen nicht
nur Umwelt- und Verbraucherschutz, sondern auch Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit auf dem Spiel“, erklärt Florian Schweitzer von
Greenpeace die möglichen Auswirkungen des Abkommens „Transatlantic Trade
and Investment Partnership“ (TTIP). 1997 untersagte die EU die Einfuhr
von Hühnerfleisch, das mit Chlor behandelt wurde. Die USA drängen nach
wie vor auf eine Aufhebung des Verbots. Im Rahmen von TTIP könnte es
dazu kommen.
Geheime Verhandlungen, unbekannter Inhalt
Welche Folgen TTIP wirklich hat, ist schwer einzuschätzen. Der
konkrete Inhalt des Abkommens ist nämlich nicht bekannt. Die
Verhandlungen werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt. Das
erinnert fatal an jene des Anti-Counterfeiting Trade Agreements (ACTA).
Auch sie waren geheim. Als die Öffentlichkeit schließlich davon erfuhr,
war die Empörung so groß, dass ACTA ad acta gelegt wurde. „Man hat
offenbar nichts gelernt“, sagt Schweitzer. „Industrielobbyisten wurden
bereits im Vorfeld eingebunden, doch das Abkommen betrifft nicht nur
Unternehmen, sondern uns alle.“
Niedrigere Standards für Europa
Die EU-Kommission will mit den USA die weltgrößte Freihandelszone
schaffen und damit „globale Standards“ vorgeben. Zölle stehen kaum mehr
im Weg. Sie machen nur einen Bruchteil des gemeinsamen Handelsvolumens
aus. Auf der Agenda steht deshalb die Vereinheitlichung regulatorischer
Standards. Gerade im Bereich des Umweltschutzes und der
Lebensmittelsicherheit herrschen gravierende Unterschiede zwischen
Europa und den USA. Dort gilt ein Produkt oder eine Technologie als
sicher, solange nicht das Gegenteil bewiesen ist. In Europa muss jedoch
zunächst die Unbedenklichkeit belegt sein.
Bedrohung für Gentechnik-Anbauverbote
Im Zentrum der Kritik stehen von der EU-Kommission geforderte
Streitschlichtungsverfahren. Unternehmen soll es ermöglicht werden,
außerhalb des bestehenden Rechtssystems direkt Staaten zu klagen, etwa
wenn strengere Umweltgesetze deren Profite bedrohen. Derartige
Investitionsschutzklauseln wurden bisher bei Abkommen mit Ländern
geschlossen, deren Gerichte keine verlässlichen und fairen Verfahren
garantieren können. „Solche Schiedsgerichte stellen sich über nationale
Höchstgerichte. In einem Abkommen zwischen der EU und den USA sind sie
völlig fehl am Platz. Unsere Gerichte sind unabhängig und garantieren
auch ausländischen Investoren faire Verfahren“, erklärt Schweitzer.
Unternehmen erhalten damit eine zweite Chance, vor nebenberuflichen
„Richtern“, die mehrheitlich als Rechtsanwälte für internationale
Konzerne arbeiten, für Entscheidungen von Parlamenten Schadensersatz zu
erhalten. Im schlimmsten Fall können Strafzahlungen so teuer werden,
dass Gesetze aufgehoben werden müssen oder gar nicht in Kraft treten.
„In Österreich können damit Anbauverbote für gentechnisch veränderte
Pflanzen oder ein Verbot von Fracking zur Förderung von Schiefergas
genauso verhindert werden wie ein Atomausstieg in Schweden“, warnt
Schweitzer.
Aushebelung der Demokratie durch Konzerne
„TTIP ist undemokratisch“, zieht Schweitzer Resümee. „Die
Verhandlungen sind intransparent. Mit den Schiedsgerichten können
Konzerne im Hinterzimmer demokratisch legitimierte Entscheidungen
aushebeln. Das Recht auf Profit würde über jenes auf eine nachhaltige
Zukunft und intakte Umwelt gestellt.“ Greenpeace fordert daher, die
Geheimverhandlungen zu stoppen. Ein erster Teilerfolg konnte schon
erzielt werden: Nach einem Besuch des EU-Chefverhandlers in Wien
kündigte die EU-Kommission an, die Verhandlungen um die umstrittenen
Schiedsgerichte auszusetzen und eine öffentliche Konsultation darüber zu
starten.