Montag, 23. September 2013

Echter Wiener Schnitzler im Tanker

Der Urlaub ist vorbei. Die Studierenden müssen zurück an die Uni und auch die Intendanten zurück ans Theater. Für die freie Szene scheint es eine spannende Spielzeit zu werden. Thomas Frank (Brut) und Wolfgang Schlag (Hundsturm) sprachen mit uns über Arbeitsbedingungen, Geld und diese Sache mit dem "postmigrantischen" Theater.

Sechs Jahre gibt es das Brut bereits. Seit damals hat es mit seinen Spielstätten nicht nur zum Nacht-, sondern auch zur Erweiterung des künstlerischen Theaterlebens beigetragen. Neben den kulturellen Supertankern, sollte es als Andockstelle für die freie Szene fungieren. Unterstützung bei diesem Bemühen erhält das Brut seit Jänner von der Volkstheater Dependance Hundsturm. Diese geht unter der unter der Führung von Wolfgang Schlag in ihre erste volle Saison. Auch die neue Spielzeit in der Brut, darf mit Spannung erwartet werden. Mit Haiko Pfost hast sich einer der beiden Leiter in die Bildungskarenz verabschiedet und Bettina Kogler verlässt das hauseigene Imagetanz Festival in Richtung WUK, wo sie als künstlerische Leiterin für Theater und Tanz fungieren wird. Thomas Frank wird nunmehr von Katalin Erdödi bei der künstlerischen Leitung unterstützt.
Im Gespräch erörtern die Thomas Frank und Wolfgang Schlag Veränderungen in der Wiener Theaterlandschaft vor, auf und hinter der Bühne.
[Wie immer der Transparenz-Hinweis: Da das Gespräch recht harmonisch verlief, soll hier noch einmal explizit darauf hingewiesen werden, dass es dennoch zu einem astreinen Messerwetzen, allerdings beim Lasagne-Essen, kam. Diese Geschichte erfolgt mit der Unterstützung der Marke Joya, die Soja-Produkte herstellt und vertreibt. Eine redaktionelle Einflussnahme gab es nicht.]

Würdet ihr eure Häuser eigentlich als Theater beschreiben?
Thomas Frank: Schon. Das Brut ist ein Theater.
Wolfgang Schlag: Man kann den Theaterbegriff ja verändern. Es macht ja Spaß, sich von einem Begriff auch immer wieder entfernen zu können und nicht in solchen Strukturen festzukleben.
TF: Wien ist ja einerseits eine unglaublich starke, andererseits aber auch eine sehr traditionelle Theaterstadt, wenn man von den Festwochen absieht. Wir haben auch bei der Gründung von brut 2007 den Begriff „Theater“ bewusst außen vor gelassen. Einfach weil wir das Gefühl hatten, dass der Begriff in der Stadt auf eine Art und Weise belegt ist, die uns nicht gefallen hat. Es war uns ein besonderes Anliegen und auch eine existentielle Notwendigkeit Leute, die mit Theater nichts am Hut haben für dieses Haus zu interessieren. 

Und die Bedeutung des Begriffs ist mittlerweile weiter geworden?
TF: Heute sind wir in der Situation, wo eine Kunsthalle DramaturgInnen beschäftigt und wir KuratorInnen. Jetzt kann man, glaub ich, schon langsam wieder damit anfangen und den Theaterbegriff zurückzuholen und das, was man da so tut ein bisschen selbstbewusster als Theater zu behaupten. Nicht, dass wir so viel anderes machen würden, aber es hat sich allmählich durchgesetzt, dass Theater ein weiterer Begriff ist. 

Hat sich die Wiener Theaterlandschaft in den letzten Jahren so stark verändert?
WS: Ich glaub es hat sich vor allem auch die Künstlerlandschaft verändert. Zum Positiven. Es sind einfach sehr viele Leute nach Wien gezogen, die einen ganz anderen Blick auf Theaterprojekte haben und auch in thematisch weiteren Horizonten denken. Am Theater, das muss man schon noch immer sagen, braucht man klassischerweise zwei lustige Stücke für die Auslastung und zwei ernste für das Lehrerpublikum.
TF: Stimmt schon, es sind in den letzten Jahren viele Künstlerinnen und Künstler nach Wien gekommen, die ästhetische Entwicklungen beeinflusst und die eine andere Auseinandersetzung provoziert haben. 

Was macht den Reiz für Theater, abgesehen von den großen Bühnen, in Wien aus?
WS: Ich glaube, dass die Bedingungen in Wien projektweise an Geld zu kommen doch noch ganz gut sind, im Vergleich zu Deutschland und Berlin.
TF: Ich denk, das muss man ein bisschen relativieren. Also, dass Berlin arm aber sexy ist, stimmt halt nur zum Teil. Für die freie Szene zum Beispiel nicht. Für die Projektförderung ist schon eine Menge Geld da. Berlin hat natürlich das Problem, dass dort sehr viele KünstlerInnen wohnen, die alle um diese Töpfe kreisen. Und Berlin weiß auch, dass das ihr Kapital ist. Hier erlebe ich, auch innerhalb dieser Szenen, ein relativ großes Ungleichgewicht zwischen dem, was insgesamt zur Verfügung steht und dem, was am Ende bei den Projekten übrig bleibt. 

Wie funktioniert die Finanzierung eurer Projekte?
TF: Bei uns ist es so, dass die Künstlerinnen und Künstler für ihre Projekte selbst die Förderung beantragen. Das ist ein Modell, das ich als Arbeitsweise in der Szene sehr wichtig finde. Die KünstlerInnen bekommen das Gros der Produktionsmittel und sind damit erst einmal autonom. Wir treten als koproduzierende Einheit den KünstlerInnen entgegen und geben auch Geld in die Produktion rein. Wir versuchen ein möglichst gut aufgestelltes Haus zur Verfügung zu stellen, um auf einem möglichst professionellen Level die Ideen der Künstlerinnen und Künstler zu realisieren und auf verschiedene Formate und Inhalte eingehen zu können.
WS: Im Prinzip haben wir ein ähnliches Modell. Wir haben halt einen Bruchteil des Budgets, das Brut hat. Unser Budget kommt direkt vom Volkstheater. Der Hundsturm hat auch den Auftrag in der Region, in der sich der Hundsturm befindet, wirksam zu werden und prozesshafte Projekte zu entwickeln, die mit der Nachbarschaft zu tun haben und nicht zwingend in einer Aufführung enden müssen.

Wie seid ihr mit eurer eigenen Finanzierung zufrieden?
TF: Die künstlerische Produktion ist unglaublich gefräßig. Ich fänd‘s natürlich auch toll, über ein größeres Budget verfügen zu können. Letztlich steht und fällt der Erfolg eines Hauses wie Brut aber mit den Künstlerinnen und Künstlern. Wichtiger fände ich daher erstmal den Künstlerinnen und Künstlern mehr Geld zu geben. Über welchen Weg das geschieht, ist mir eigentlich Schnuppe.
WS: Ich rechne mich ja überhaupt nicht dem Thema Theater zu, ehrlich gesagt. Ich habe ein Haus, an dem ich schaue, dass Künstler, die mit spannenden und realisierbaren Projekten kommen, gute Bedingungen vorfinden. Das interessiert mich eigentlich am meisten. Ob da jetzt das Etikett Theater, bildende Kunst, Musik oder was auch immer draufsteht, ist mir ehrlich gesagt Schnuppe, um den Kollegen zu zitieren. Wichtig ist, dass Politik Künstler ernst nimmt und sich immer wieder die Realität der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Künstlern vergegenwärtigt. 

Wie sehen die Arbeitsbedingungen der Künstlerinnen und Künstlern bei euch aus?
TF: Künstlerinnen und Künstler, die bei uns arbeiten, sind gar nicht am Haus angestellt. Das sind freie Projekte. Und das ist ja auch unser Auftrag, mit freien KünstlerInnen hier zu arbeiten. Da gibt es durchaus auch Menschen, die davon ganz ok leben können.
WS: Das ist halt auch immer eine Verhandlungssache. Jeder von uns versucht natürlich die Künstler fair zu behandeln. Das gehört auch irgendwie zum Kunstbetrieb. Gerade wenn man Themen wie Kapitalismuskritik auf der Bühne spielt, kann man nicht hinter der Bühne die Künstler ausbeuten. Nicht, dass das nicht trotzdem irgendwo vorkommen würde. 

Versucht ihr mit der Programmierung ein spezifisches Publikum anzusprechen, oder ein möglichst großes Publikum für Theater zu begeistern?
WS: Ich programmiere nicht so, dass ich bestimmte Gruppen mit bestimmten Künstlern ansprechen möchte. Ich schaue eher, dass das künstlerische Angebot so offen ist, dass sich unterschiedliche Bevölkerungsschichten dort einfinden und treffen. Das funktioniert bis jetzt eigentlich sehr gut. Das Jugendthema beschäftigt mich sehr und über die Workshops – also Musikproduktion, Rap, Geschichten, die interessanterweise in Wien relativ wenig angeboten werden – erreichen wir ein total interessantes Publikum. Lehrlinge und Jugendliche aus der Gegend. Wir arbeiten auch mit Flüchtlingsinstitutionen zusammen. Das ist ein extrem interessant. 

Verbindest du damit einen pädagogischen Anspruch?
WS: Ich bin überhaupt nicht daran interessiert, dass die irgendwann mal im Volkstheater spielen, oder Volkstheater-Abonnenten werden. Mich interessiert der Begriff Volkstheater und was das noch sein kann. Was bedeuten Begriffe wie Arbeiter oder Peripherie überhaupt noch? Ich sehe unseren Auftrag aus der Geschichte des Hauses abgeleitet: Es ist ja ein altes Arbeiterwohnheim von Eisenbahnern. Früher war das ein Versammlungs- und Verhandlungsraum, Kino und Kabarett-Bühne für Eisenbahner. Nur das Theater ist übrig geblieben. 

Im Brut kennt ihr wahrscheinlich euer spezifisches Publikum?
TF: Wir haben natürlich ein Stammpublikum und kennen ungefähr dessen Erwartungslage. Gleichzeitig kann man auch im Brut kaum von "dem" Publikum“ reden. Das Publikum weiß schon relativ spezifisch, was es will. Es gibt dann für verschiedene Formate verschiedene Interessensgruppen. Wenn wir ein tanzlastiges Programm machen, dann kommen andere Leute als bei einem theaterorientierten Programm. Dann gibt es die Pop-Schiene mit Clubs und Konzerten, die sicher wieder andere Leute anspricht. Und dann gibt es eine Schnittmenge zwischen alledem. Aber es gibt nicht "das" Brut-Publikum
.
Und die thematischen Schwerpunkte sollen als Klammer zwischen den im Ausdruck recht unterschiedlichen Produktionen funktionieren?
TF: Als explizit interdisziplinär ausgerichtetes Haus ist es eben sehr wichtig, nie mit dem Bemühen aufzuhören, die Gleichberechtigung der verschiedenen Formate immer wieder zu betonen. Das geht am besten über eine inhaltliche Vermittlung und die Inbezugsetzung der unterschiedlichen Produktionen aus den unterschiedlichen Ecken, die wir programmieren.  Das schafft natürlich auch eine Orientierung im Programm. Anders als ein Stadttheater sind wir in der Situation, dass wir immer wieder unbekanntere Sachen zeigen. Von Künstlerinnen und Künstlern, von denen man noch nicht gehört hat, zu Inhalten, die manchmal etwas abstrakt klingen. Ein Burgtheater verlässt sich darauf, dass die Leute bei einem Schnitzler ihren Schnitzler bekommen. 

Seit ein paar Jahren geistert ja auch das Adjektiv „postmigrantisch“ im Theaterkontext herum. Hat diese dieses Konzept  für euch programmatisch irgendeine Relevanz?
WS: Den Begriff hat Shermin Langhoff vor ein paar Jahren irgendwo gelesen und damit in den deutschen Medien reüssiert. Aber das war es dann auch schon. Denn wenn man diesen Begriff im theoretischen Kunstkontext verwendet, dann wird man nie wieder zu einem Vortrag eingeladen. Dieser Begriff ist so etwas von post-post. Oder? Was bitte heißt postmigrantisch? Bei einer Diskussion über den Begriff war ein in Wien lebender afroamerikanischer Schauspieler dabei, der dann meinte: „In Wien hab ich es eh schon so schwierig, weil ich so ausschaue, wie ich ausschaue und immer als Othello eingeladen werde. Und dann sagt man zu mir noch, ich bin Migrant. Und jetzt bin ich plötzlich auch noch Postmigrant. Mir reicht‘s jetzt."
TF: Dieser Begriff ist auch eher politisch heiß gelaufen, dahinter stehen nur einige wenige Leute, die damit kulturpolitisch etwas einfahren wollen.

Ich find es ja schon schlüssig, dass der Begriff des postmigrantischen Theaters vor allem in der Politik offene Türen einläuft. Es lässt sich halt gut mit Diversity Management zusammendenken. Beiden ist vielleicht gemein, dass sie eher symbolische als faktische Relevanz haben?
TF: Vielleicht solltest du im Hundsturm einfach das Aktionslabor für postheimisches Theater machen, oder?
WS: Im Hundsturm ist das eigentlich schon Programm – wir machen postanimalisches Theater. Ich hab schon eine Meinung dazu, wie man als Institution mit dieser veränderten demografischen Situation in der Stadt umgehen kann. Ich glaube, das habe ich auch bei den Festwochen, bei „Into the City“ gezeigt, indem man solche Begriffe einfach gar nicht verwendet und die Leute ernst nimmt, mit ihnen gemeinsam Projekte entwickelt. An die Ränder der Stadt geht und ganz einfach ganz normal Kulturarbeit macht und nicht sagt: Ich bin ein ... das nächste Fettnäpfchen. Liegt The Gap eigentlich auch in der MA7 gratis auf? Da liegen ja immer so Zeitschriften. Sicher? Oder? 

Könnt ich mir schon vorstellen.
WS: Man sollte die Menschen einfach ernst nehmen, dann muss man keine Begriffe drüber schreiben. Ich glaube, dass sich dieser Thematik eher die großen Institutionen stellen sollten, die so tun, als würde die Stadt noch immer so ausschauen, wie vor hundert Jahren. Die haben ihre teuren Karten, ihre Abos, ihre ewiggleichen Künstlerprojekte. Dann gibt es noch diesen deutschen Theaterkanon. Den ständig rauf und runter zu spielen find ich auch furchtbar. Na klar, warum soll eine türkische Familie, die mittlerweile alle oder viele in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind, ins Burgtheater gehen. Der Bildungskanon, mit dem die aufgewachsen sind, bildet sich dort ja wahrscheinlich überhaupt nicht ab.
TF: Ich glaube nicht, dass das nur ein Thema für Menschen ist, die mit „postmigrantisch“ gemeint sind, sondern, dass das ein generelles gesellschaftliches Problem ist. Öffentlichkeit ist heute ausdifferenziert, eine bürgerliche Mitte, für die diese Häuser gebaut wurden, gibt es in der zeitgenössischen Stadt so nicht mehr.
WS: Es ist ja ziemlich langweilig über diese großen Tanker nachzudenken. Eine radikalere Zukunft könnte sein, kleinere Häuser zu haben. Das Spannende im Kulturbetrieb sind längst diese kleineren Häuser – wie Brut. Die Stadt sollte dezentraler gedacht werden. Mich stört dieser Kulturcluster mitten in der Stadt. Warum nicht ein zeitgenössisches Museum nach Floridsdorf bauen? Das wäre eine irrsinnige Belebung. Es ist eh genug los dort, aber das würde noch mal einen anderen Impuls setzen. 

Die Wiener MA7 regt ja in letzter Zeit vermehrt zu Kooperation zwischen den kleinen Bühnen an. Ich versteh nicht ganz warum es diesen Trend gibt, möglichst viele Häuser zusammenzuführen, die vielleicht gar nicht so viel miteinander zu tun und vielleicht gar nicht das Einsparungspotential haben?
TF: Du hast ja in deiner Frage, die Antwort schon fast mitformuliert. Es gibt eine gewisse Unentschiedenheit in der Kulturpolitik. Das Problem ist natürlich, dass in den letzten Jahren einige neue Spielstätten dazugekommen sind. Auf der anderen Seite kann man sich nicht  von Projekten und Häusern verabschieden – mit dem Ergebnis, dass diese Häuser, deren Aufgaben oder Arbeitsweisen in manchen Fällen nicht so klar definiert oder durchdacht sind. Damit meine ich vor allem das Verhältnis des Auftrags der Häuser zum Budget, das ihnen zur Verfügung steht. Das führt natürlich dazu, dass die alle auf die Projektfördertöpfe zugreifen wollen, die auch nicht größer werden.
WS: Vor allem, wenn neue Räume geschaffen werden – normalerweise müsste zuerst ein Konzept da sein und dann der Raum geschaffen werden.
TF: In der Regel läuft das leider anders rum.
WS: Ja, es wird das Haus gebaut und es gibt kein Konzept dazu. Auch nicht später. 

Ich frag jetzt nicht an welches Haus du dabei denkst.
WS: Ja, ohne das Kabelwerk damit in Verbindung bringen zu wollen, denke ich dass es am falschen Ort ist. Das Publikum am Kabelwerk interessiert sich null für das Kabelwerk. Angeblich gibt es im Kabelwerk den höchsten Anteil von FPÖ-Wählern im geförderten Wohnbau. Die interessiert das dort nicht. Eine U-Bahn Station weiter ist das Schöpfwerk. Das ist ein super Ort. Dort gibt es wirklich ein spannendes, interessiertes, offenes Publikum. Ich habe nie verstanden, warum man nicht dort einen solchen Raum hinbaut. 

Ihr scheint euch ja recht gut zu verstehen, wann gibt es die erste Kooperation zwischen Hundsturm und Brut?
WS: Steht an, eigentlich. Können wir wirklich mal machen.
TF: Ja, da können wir mal konkret werden. Mach mal den Rekorder aus.


Erschienen auf TheGap.at.