Der Urlaub ist vorbei. Die Studierenden müssen zurück an die Uni und
auch die Intendanten zurück ans Theater. Für die freie Szene scheint es
eine spannende Spielzeit zu werden. Thomas Frank (Brut) und Wolfgang
Schlag (Hundsturm) sprachen mit uns über Arbeitsbedingungen, Geld und
diese Sache mit dem "postmigrantischen" Theater.
Sechs Jahre gibt es das Brut bereits. Seit damals hat es mit seinen
Spielstätten nicht nur zum Nacht-, sondern auch zur Erweiterung des
künstlerischen Theaterlebens beigetragen. Neben den kulturellen
Supertankern, sollte es als Andockstelle für die freie Szene fungieren.
Unterstützung bei diesem Bemühen erhält das Brut seit Jänner von der
Volkstheater Dependance Hundsturm. Diese geht unter der unter der
Führung von Wolfgang Schlag in ihre erste volle Saison. Auch die neue
Spielzeit in der Brut, darf mit Spannung erwartet werden. Mit Haiko
Pfost hast sich einer der beiden Leiter in die Bildungskarenz
verabschiedet und Bettina Kogler verlässt das hauseigene Imagetanz
Festival in Richtung WUK, wo sie als künstlerische Leiterin für Theater
und Tanz fungieren wird. Thomas Frank wird nunmehr von Katalin Erdödi
bei der künstlerischen Leitung unterstützt.
Im Gespräch erörtern die Thomas Frank und Wolfgang Schlag
Veränderungen in der Wiener Theaterlandschaft vor, auf und hinter der
Bühne.
[Wie immer der Transparenz-Hinweis: Da das Gespräch recht harmonisch
verlief, soll hier noch einmal explizit darauf hingewiesen werden, dass
es dennoch zu einem astreinen Messerwetzen, allerdings beim
Lasagne-Essen, kam. Diese Geschichte erfolgt mit der Unterstützung der
Marke Joya, die Soja-Produkte herstellt und vertreibt. Eine
redaktionelle Einflussnahme gab es nicht.]
Würdet ihr eure Häuser eigentlich als Theater beschreiben?
Thomas Frank: Schon. Das Brut ist ein Theater.
Wolfgang Schlag: Man kann den Theaterbegriff ja verändern. Es macht
ja Spaß, sich von einem Begriff auch immer wieder entfernen zu können
und nicht in solchen Strukturen festzukleben.
TF: Wien ist ja einerseits eine unglaublich starke, andererseits aber
auch eine sehr traditionelle Theaterstadt, wenn man von den Festwochen
absieht. Wir haben auch bei der Gründung von brut 2007 den Begriff
„Theater“ bewusst außen vor gelassen. Einfach weil wir das Gefühl
hatten, dass der Begriff in der Stadt auf eine Art und Weise belegt ist,
die uns nicht gefallen hat. Es war uns ein besonderes Anliegen und auch
eine existentielle Notwendigkeit Leute, die mit Theater nichts am Hut
haben für dieses Haus zu interessieren.
Und die Bedeutung des Begriffs ist mittlerweile weiter geworden?
TF: Heute sind wir in der Situation, wo eine Kunsthalle DramaturgInnen beschäftigt und wir KuratorInnen.
Jetzt kann man, glaub ich, schon langsam wieder damit anfangen und den
Theaterbegriff zurückzuholen und das, was man da so tut ein bisschen
selbstbewusster als Theater zu behaupten. Nicht, dass wir so viel
anderes machen würden, aber es hat sich allmählich durchgesetzt, dass
Theater ein weiterer Begriff ist.
Hat sich die Wiener Theaterlandschaft in den letzten Jahren so stark verändert?
WS: Ich glaub es hat sich vor allem auch die Künstlerlandschaft
verändert. Zum Positiven. Es sind einfach sehr viele Leute nach Wien
gezogen, die einen ganz anderen Blick auf Theaterprojekte haben und auch
in thematisch weiteren Horizonten denken. Am Theater, das muss man
schon noch immer sagen, braucht man klassischerweise zwei lustige Stücke
für die Auslastung und zwei ernste für das Lehrerpublikum.
TF: Stimmt schon, es sind in den letzten Jahren viele Künstlerinnen
und Künstler nach Wien gekommen, die ästhetische Entwicklungen
beeinflusst und die eine andere Auseinandersetzung provoziert haben.
Was macht den Reiz für Theater, abgesehen von den großen Bühnen, in Wien aus?
WS: Ich glaube, dass die Bedingungen in Wien projektweise an Geld zu
kommen doch noch ganz gut sind, im Vergleich zu Deutschland und Berlin.
TF: Ich denk, das muss man ein bisschen relativieren. Also, dass
Berlin arm aber sexy ist, stimmt halt nur zum Teil. Für die freie Szene
zum Beispiel nicht. Für die Projektförderung ist schon eine Menge Geld
da. Berlin hat natürlich das Problem, dass dort sehr viele KünstlerInnen
wohnen, die alle um diese Töpfe kreisen. Und Berlin weiß auch, dass das
ihr Kapital ist. Hier erlebe ich, auch innerhalb dieser Szenen, ein
relativ großes Ungleichgewicht zwischen dem, was insgesamt zur Verfügung
steht und dem, was am Ende bei den Projekten übrig bleibt.
Wie funktioniert die Finanzierung eurer Projekte?
TF: Bei uns ist es so, dass die Künstlerinnen und Künstler für ihre
Projekte selbst die Förderung beantragen. Das ist ein Modell, das ich
als Arbeitsweise in der Szene sehr wichtig finde. Die KünstlerInnen
bekommen das Gros der Produktionsmittel und sind damit erst einmal
autonom. Wir treten als koproduzierende Einheit den KünstlerInnen
entgegen und geben auch Geld in die Produktion rein. Wir versuchen ein
möglichst gut aufgestelltes Haus zur Verfügung zu stellen, um auf einem
möglichst professionellen Level die Ideen der Künstlerinnen und Künstler
zu realisieren und auf verschiedene Formate und Inhalte eingehen zu
können.
WS: Im Prinzip haben wir ein ähnliches Modell. Wir haben halt einen
Bruchteil des Budgets, das Brut hat. Unser Budget kommt direkt vom
Volkstheater. Der Hundsturm hat auch den Auftrag in der Region, in der
sich der Hundsturm befindet, wirksam zu werden und prozesshafte Projekte
zu entwickeln, die mit der Nachbarschaft zu tun haben und nicht
zwingend in einer Aufführung enden müssen.
Wie seid ihr mit eurer eigenen Finanzierung zufrieden?
TF: Die künstlerische Produktion ist unglaublich gefräßig. Ich fänd‘s
natürlich auch toll, über ein größeres Budget verfügen zu können.
Letztlich steht und fällt der Erfolg eines Hauses wie Brut aber mit den
Künstlerinnen und Künstlern. Wichtiger fände ich daher erstmal den
Künstlerinnen und Künstlern mehr Geld zu geben. Über welchen Weg das
geschieht, ist mir eigentlich Schnuppe.
WS: Ich rechne mich ja überhaupt nicht dem Thema Theater zu, ehrlich
gesagt. Ich habe ein Haus, an dem ich schaue, dass Künstler, die mit
spannenden und realisierbaren Projekten kommen, gute Bedingungen
vorfinden. Das interessiert mich eigentlich am meisten. Ob da jetzt das
Etikett Theater, bildende Kunst, Musik oder was auch immer draufsteht,
ist mir ehrlich gesagt Schnuppe, um den Kollegen zu zitieren. Wichtig
ist, dass Politik Künstler ernst nimmt und sich immer wieder die
Realität der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Künstlern
vergegenwärtigt.
Wie sehen die Arbeitsbedingungen der Künstlerinnen und Künstlern bei euch aus?
TF: Künstlerinnen und Künstler, die bei uns arbeiten, sind gar nicht
am Haus angestellt. Das sind freie Projekte. Und das ist ja auch unser
Auftrag, mit freien KünstlerInnen hier zu arbeiten. Da gibt es durchaus
auch Menschen, die davon ganz ok leben können.
WS: Das ist halt auch immer eine Verhandlungssache. Jeder von uns
versucht natürlich die Künstler fair zu behandeln. Das gehört auch
irgendwie zum Kunstbetrieb. Gerade wenn man Themen wie
Kapitalismuskritik auf der Bühne spielt, kann man nicht hinter der Bühne
die Künstler ausbeuten. Nicht, dass das nicht trotzdem irgendwo
vorkommen würde.
Versucht ihr mit der Programmierung ein spezifisches Publikum
anzusprechen, oder ein möglichst großes Publikum für Theater zu
begeistern?
WS: Ich programmiere nicht so, dass ich bestimmte Gruppen mit
bestimmten Künstlern ansprechen möchte. Ich schaue eher, dass das
künstlerische Angebot so offen ist, dass sich unterschiedliche
Bevölkerungsschichten dort einfinden und treffen. Das funktioniert bis
jetzt eigentlich sehr gut. Das Jugendthema beschäftigt mich sehr und
über die Workshops – also Musikproduktion, Rap, Geschichten, die
interessanterweise in Wien relativ wenig angeboten werden – erreichen
wir ein total interessantes Publikum. Lehrlinge und Jugendliche aus der
Gegend. Wir arbeiten auch mit Flüchtlingsinstitutionen zusammen. Das ist
ein extrem interessant.
Verbindest du damit einen pädagogischen Anspruch?
WS: Ich bin überhaupt nicht daran interessiert, dass die irgendwann
mal im Volkstheater spielen, oder Volkstheater-Abonnenten werden. Mich
interessiert der Begriff Volkstheater und was das noch sein kann. Was
bedeuten Begriffe wie Arbeiter oder Peripherie überhaupt noch? Ich sehe
unseren Auftrag aus der Geschichte des Hauses abgeleitet: Es ist ja ein
altes Arbeiterwohnheim von Eisenbahnern. Früher war das ein
Versammlungs- und Verhandlungsraum, Kino und Kabarett-Bühne für
Eisenbahner. Nur das Theater ist übrig geblieben.
Im Brut kennt ihr wahrscheinlich euer spezifisches Publikum?
TF: Wir haben natürlich ein Stammpublikum und kennen ungefähr dessen
Erwartungslage. Gleichzeitig kann man auch im Brut kaum von "dem"
Publikum“ reden. Das Publikum weiß schon relativ spezifisch, was es
will. Es gibt dann für verschiedene Formate verschiedene
Interessensgruppen. Wenn wir ein tanzlastiges Programm machen, dann
kommen andere Leute als bei einem theaterorientierten Programm. Dann
gibt es die Pop-Schiene mit Clubs und Konzerten, die sicher wieder
andere Leute anspricht. Und dann gibt es eine Schnittmenge zwischen
alledem. Aber es gibt nicht "das" Brut-Publikum
.
Und die thematischen Schwerpunkte sollen als Klammer zwischen den
im Ausdruck recht unterschiedlichen Produktionen funktionieren?
TF: Als explizit interdisziplinär ausgerichtetes Haus ist es eben
sehr wichtig, nie mit dem Bemühen aufzuhören, die Gleichberechtigung der
verschiedenen Formate immer wieder zu betonen. Das geht am besten über
eine inhaltliche Vermittlung und die Inbezugsetzung der
unterschiedlichen Produktionen aus den unterschiedlichen Ecken, die wir
programmieren. Das schafft natürlich auch eine Orientierung im
Programm. Anders als ein Stadttheater sind wir in der Situation, dass
wir immer wieder unbekanntere Sachen zeigen. Von Künstlerinnen und
Künstlern, von denen man noch nicht gehört hat, zu Inhalten, die
manchmal etwas abstrakt klingen. Ein Burgtheater verlässt sich darauf,
dass die Leute bei einem Schnitzler ihren Schnitzler bekommen.
Seit ein paar Jahren geistert ja auch das Adjektiv
„postmigrantisch“ im Theaterkontext herum. Hat diese dieses Konzept für
euch programmatisch irgendeine Relevanz?
WS: Den Begriff hat Shermin Langhoff vor ein paar Jahren irgendwo
gelesen und damit in den deutschen Medien reüssiert. Aber das war es
dann auch schon. Denn wenn man diesen Begriff im theoretischen
Kunstkontext verwendet, dann wird man nie wieder zu einem Vortrag
eingeladen. Dieser Begriff ist so etwas von post-post. Oder? Was bitte
heißt postmigrantisch? Bei einer Diskussion über den Begriff war ein in
Wien lebender afroamerikanischer Schauspieler dabei, der dann meinte:
„In Wien hab ich es eh schon so schwierig, weil ich so ausschaue, wie
ich ausschaue und immer als Othello eingeladen werde. Und dann sagt man
zu mir noch, ich bin Migrant. Und jetzt bin ich plötzlich auch noch
Postmigrant. Mir reicht‘s jetzt."
TF: Dieser Begriff ist auch eher politisch heiß gelaufen, dahinter
stehen nur einige wenige Leute, die damit kulturpolitisch etwas
einfahren wollen.
Ich find es ja schon schlüssig, dass der Begriff des
postmigrantischen Theaters vor allem in der Politik offene Türen
einläuft. Es lässt sich halt gut mit Diversity Management
zusammendenken. Beiden ist vielleicht gemein, dass sie eher symbolische
als faktische Relevanz haben?
TF: Vielleicht solltest du im Hundsturm einfach das Aktionslabor für postheimisches Theater machen, oder?
WS: Im Hundsturm ist das eigentlich schon Programm – wir machen
postanimalisches Theater. Ich hab schon eine Meinung dazu, wie man als
Institution mit dieser veränderten demografischen Situation in der Stadt
umgehen kann. Ich glaube, das habe ich auch bei den Festwochen, bei
„Into the City“ gezeigt, indem man solche Begriffe einfach gar nicht
verwendet und die Leute ernst nimmt, mit ihnen gemeinsam Projekte
entwickelt. An die Ränder der Stadt geht und ganz einfach ganz normal
Kulturarbeit macht und nicht sagt: Ich bin ein ... das nächste
Fettnäpfchen. Liegt The Gap eigentlich auch in der MA7 gratis auf? Da
liegen ja immer so Zeitschriften. Sicher? Oder?
Könnt ich mir schon vorstellen.
WS: Man sollte die Menschen einfach ernst nehmen, dann muss man keine
Begriffe drüber schreiben. Ich glaube, dass sich dieser Thematik eher
die großen Institutionen stellen sollten, die so tun, als würde die
Stadt noch immer so ausschauen, wie vor hundert Jahren. Die haben ihre
teuren Karten, ihre Abos, ihre ewiggleichen Künstlerprojekte. Dann gibt
es noch diesen deutschen Theaterkanon. Den ständig rauf und runter zu
spielen find ich auch furchtbar. Na klar, warum soll eine türkische
Familie, die mittlerweile alle oder viele in der Mitte der Gesellschaft
angekommen sind, ins Burgtheater gehen. Der Bildungskanon, mit dem die
aufgewachsen sind, bildet sich dort ja wahrscheinlich überhaupt nicht
ab.
TF: Ich glaube nicht, dass das nur ein Thema für Menschen ist, die
mit „postmigrantisch“ gemeint sind, sondern, dass das ein generelles
gesellschaftliches Problem ist. Öffentlichkeit ist heute
ausdifferenziert, eine bürgerliche Mitte, für die diese Häuser gebaut
wurden, gibt es in der zeitgenössischen Stadt so nicht mehr.
WS: Es ist ja ziemlich langweilig über diese großen Tanker
nachzudenken. Eine radikalere Zukunft könnte sein, kleinere Häuser zu
haben. Das Spannende im Kulturbetrieb sind längst diese kleineren Häuser
– wie Brut. Die Stadt sollte dezentraler gedacht werden. Mich stört
dieser Kulturcluster mitten in der Stadt. Warum nicht ein
zeitgenössisches Museum nach Floridsdorf bauen? Das wäre eine irrsinnige
Belebung. Es ist eh genug los dort, aber das würde noch mal einen
anderen Impuls setzen.
Die Wiener MA7 regt ja in letzter Zeit vermehrt zu Kooperation
zwischen den kleinen Bühnen an. Ich versteh nicht ganz warum es diesen
Trend gibt, möglichst viele Häuser zusammenzuführen, die vielleicht gar
nicht so viel miteinander zu tun und vielleicht gar nicht das
Einsparungspotential haben?
TF: Du hast ja in deiner Frage, die Antwort schon fast mitformuliert.
Es gibt eine gewisse Unentschiedenheit in der Kulturpolitik. Das
Problem ist natürlich, dass in den letzten Jahren einige neue
Spielstätten dazugekommen sind. Auf der anderen Seite kann man sich
nicht von Projekten und Häusern verabschieden – mit dem Ergebnis, dass
diese Häuser, deren Aufgaben oder Arbeitsweisen in manchen Fällen nicht
so klar definiert oder durchdacht sind. Damit meine ich vor allem das
Verhältnis des Auftrags der Häuser zum Budget, das ihnen zur Verfügung
steht. Das führt natürlich dazu, dass die alle auf die
Projektfördertöpfe zugreifen wollen, die auch nicht größer werden.
WS: Vor allem, wenn neue Räume geschaffen werden – normalerweise
müsste zuerst ein Konzept da sein und dann der Raum geschaffen werden.
TF: In der Regel läuft das leider anders rum.
WS: Ja, es wird das Haus gebaut und es gibt kein Konzept dazu. Auch nicht später.
Ich frag jetzt nicht an welches Haus du dabei denkst.
WS: Ja, ohne das Kabelwerk damit in Verbindung bringen zu wollen,
denke ich dass es am falschen Ort ist. Das Publikum am Kabelwerk
interessiert sich null für das Kabelwerk. Angeblich gibt es im Kabelwerk
den höchsten Anteil von FPÖ-Wählern im geförderten Wohnbau. Die
interessiert das dort nicht. Eine U-Bahn Station weiter ist das
Schöpfwerk. Das ist ein super Ort. Dort gibt es wirklich ein spannendes,
interessiertes, offenes Publikum. Ich habe nie verstanden, warum man
nicht dort einen solchen Raum hinbaut.
Ihr scheint euch ja recht gut zu verstehen, wann gibt es die erste Kooperation zwischen Hundsturm und Brut?
WS: Steht an, eigentlich. Können wir wirklich mal machen.
TF: Ja, da können wir mal konkret werden. Mach mal den Rekorder aus.
Erschienen auf TheGap.at.