Mittwoch, 25. September 2013

Meeting people is easy

Das Kaffeehaus wird zum Schmelztiegel neuer Ideen und ein Ort an dem Fremde zu Freunden werden. Klingt retro und so gar nicht nach Wien im 21. Jahrhundert? Die Vienna Coffeehouse Conversations versuchen sich dennoch daran.

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BILD: Vienna Coffeehouse Conversations
Gerade im Internet beklagt die Sozialwissenschaft gerne die Segmentierung der Medienöffentlichkeit: Blogs und auch Online-Magazine würden dazu beitragen, dass Menschen weltweit nur mehr jene Meinungen und Nachrichten lesen, die ihren eigenen weitgehend entsprechen würden, sagen wir Filterblase dazu. Ein gesamtgesellschaftlicher Diskurs könne so aber nur mehr schwer organisiert werden. Das kennt man aber auch abseits virtueller Texte, denn genauso wie die Medien ist auch die Freizeit zergliedert – das nennt man dann aber meist Szenen: Freizeit verbringt man dann auch meistens in den selben Bars, Clubs und sonstigen Lokalitäten, wo man dann auch mit den Leuten redet, die man schon kennt oder Menschen kennen lernt, die dann ohnehin den halben Freundeskreis kennen, sagen wir Egoblase dazu. 

Wien ist dann vielleicht auch obendrein nicht die Stadt in der man leicht wildfremde Menschen kennenlernt und jeder offen mit allen anderen tratscht und beschwingten Smalltalk führt. Man sitzt eher mit den engsten Vertrauten konspirativ im Caféhaus, wo es dann ans Eingemachte geht. Natürlich lässt sich auch heiße Luft vakuumieren – metaphorisch, nicht physikalisch. Die Vienna Coffeehouse Conversations  bedienen sich vor allem am Nimbus des Caféhauses als Ort tiefschürfender Gespräche. Wenn man darüber nachdenkt, wer zur Blütezeit der Caféhauskultur um die Jahrhundertwende mit wem im Caféhaus saß, scheint das nur konsequent. 

Die Dinner-Conversations, eigentlich eine englische Erfindung, werden quasi in das Herz Wiens, das Kaffeehaus implantiert, um dort als Schrittmacher für Gespräche zu fungieren. Die Idee, erklärt Eugene Quinn, Journalist aus London und einer der Köpfe hinter der Kreativengruppe Space and Place, ist denkbar einfach: Zwei Fremde lernen einander beim Essen kennen. Ursprünglich veranstaltete Space and Place die Tischgespräche auf Deutsch, zum Beispiel im Wienmuseum, wo man Menschen aus Minderheitengruppen, aber auch ganz normale Wiener und Wienerinnen einlud. Die englischsprachige Variante, habe man gewählt, um Wien auch für den Rest der Welt zu öffnen, sagt Eugene.

Was bedeutet das Kaffeehaus für dich?
Kaffeehäuser sind das Beste an Wien. Zeitlosigkeit, Ruhe, gute internationale Zeitungen und immer interessante Menschen, die man gern kennen lernen würde. Kaffeehäuser sind im Grunde hochgradig unkommerzielle Plätze und so etwas ist im Jahr 2013 gar nicht so leicht zu finden. In ein paar der besten Cafés - Braunerhof, Engländer, Phil, Heumarkt - stößt man auch heute noch immer auf den Geist der Wiener Jahrhundertwende, als die Stadt noch vom Rauschen neuer Ideen erfüllt war: Musik, Kunst, Architektur und auch Psychoanalyse. Wien war damals viel moderner als jetzt. Die Schöpfer dieser Ideen alle versammelt in den Caféhäusern – in welches man ging, sagte viel darüber aus, wer man war. Wir würden gern diesen Sinn für das Abenteuerliche, Dinge anders zu denken, beleben.

Damit die Gesprächsthemen garantiert nicht ausgehen, gibt es ein „conversation-menu“. Habt ihr die Fragen speziell für Wien adaptiert?
Die Fragen stammen ja von Theodore Zeldin, er ist Historiker an der Oxford University. Er ist davon überzeugt, dass wir im 21. Jahrhundert einfach extrem viele banale Gespräche führen. Sein conversation-menu soll dem entgegentreten. Die Fragen stammen aus seinem Buch „An Intimate History of Humanity“. Es erzählt aus einer globalen Perspektive wie sich persönliche Beziehungen in unterschiedlichen Regionen, Epochen und Kulturen entwickelt haben. Wir haben die Fragen erstmals ins Deutsche übersetzt, was gar nicht so einfach war. Abgesehen davon sind sie aber unverändert. 

Was verbindet die Menschen die zu den Gesprächen kommen?
Ich denke, das ist die Neugierde für hippe, neue Dinge. Diesen Trend bezüglich „Social Dining“, gibt es bereits seit ein paar Jahren: Andere intelligente Menschen in gemütlicher Atmosphäre zu treffen. Ich denke gerade im digitalen Zeitalter, gibt es ein neues Bedürfnis nach Verbindung und Kontakt in der echten, analogen Welt. Natürlich auch dafür, sich weiterzuentwickeln. Fragen wie „Welche Phase deines Lebens waren Zeitverschwendung?“ oder „Wie wichtig ist dir Geld?“ werden selten gestellt. Werden sie gestellt, geht man mit einem neuen Blick auf das eigene Leben und neuen Gedanken dazu nach Hause. Das sind die Gedanken und Überlegungen, die einem wie Schauer über den Rücken laufen. 

Woher kommen die englischsprachigen Teilnehmer?
Viele Leute, die zu uns kommen haben über uns in der New York Times, dem Guardian oder im Condé Nast Traveller als etwas Neues oder Ausgefallenes in Wien gelesen. Wir haben daher immer ein paar Touristen, aber ein Großteil der internationalen Leute leben in Wien und arbeiten für Institutionen, wie die UNO, die IAEA oder die OPEC. Andere sind hier um Konferenzen zu besuchen. 

Wie stellt ihr die Gespräche zusammen?
Zu viele Menschen treffen immer nur Menschen mit den gleichen Ansichten. Wir hoffen die Dinge etwas aufzumischen. Bei der Paarung der Gesprächspartner, ist das Konzept, mit jemanden zu sprechen, der möglichst anders ist, als man selber. Man soll überrascht sein und die Welt aus einer anderen Perspektive kennen lernen. Wir hoffen dabei natürlich auf ein richtiges Feuerwerk und manchmal passiert es dann auch. Das ist aber immer ein zivilisierter Austausch, mehr intelligent als aggressiv. 

Welche Rolle spielt das essen bei diesen Gesprächen?
Ich glaube das Essen ist eigentlich gar nicht wichtig. Gemeinsam zu essen ist angenehm, weil es entschleunigt, aber es ist tatsächlich auch teilweise eine Ablenkung. Anstatt nur einem Menü bieten wir jetzt auch unterschiedliche Menüs an – eines davon ist einfach Kaffee und Kuchen. Wir wollen den Eintritt für die Coffeehouse Conversations so niedrig wie möglich halten, damit niemand davon abgehalten wird vorbeizukommen. 

Was bestellst du selber normalerweise im Kaffeehaus?
Immer einen großen Schwarzen. Das Leben sollte so kraftvoll und stimulierend wie nur irgend möglich sein.

Das nächste Mal finden die Coffeehouse Conversations am 18.10 und 22.11 im Café Ministerium statt. Anmelden kann man sich über die Homepage.

Erschienen auf TheGap.at.
 

Montag, 23. September 2013

Echter Wiener Schnitzler im Tanker

Der Urlaub ist vorbei. Die Studierenden müssen zurück an die Uni und auch die Intendanten zurück ans Theater. Für die freie Szene scheint es eine spannende Spielzeit zu werden. Thomas Frank (Brut) und Wolfgang Schlag (Hundsturm) sprachen mit uns über Arbeitsbedingungen, Geld und diese Sache mit dem "postmigrantischen" Theater.

Sechs Jahre gibt es das Brut bereits. Seit damals hat es mit seinen Spielstätten nicht nur zum Nacht-, sondern auch zur Erweiterung des künstlerischen Theaterlebens beigetragen. Neben den kulturellen Supertankern, sollte es als Andockstelle für die freie Szene fungieren. Unterstützung bei diesem Bemühen erhält das Brut seit Jänner von der Volkstheater Dependance Hundsturm. Diese geht unter der unter der Führung von Wolfgang Schlag in ihre erste volle Saison. Auch die neue Spielzeit in der Brut, darf mit Spannung erwartet werden. Mit Haiko Pfost hast sich einer der beiden Leiter in die Bildungskarenz verabschiedet und Bettina Kogler verlässt das hauseigene Imagetanz Festival in Richtung WUK, wo sie als künstlerische Leiterin für Theater und Tanz fungieren wird. Thomas Frank wird nunmehr von Katalin Erdödi bei der künstlerischen Leitung unterstützt.
Im Gespräch erörtern die Thomas Frank und Wolfgang Schlag Veränderungen in der Wiener Theaterlandschaft vor, auf und hinter der Bühne.
[Wie immer der Transparenz-Hinweis: Da das Gespräch recht harmonisch verlief, soll hier noch einmal explizit darauf hingewiesen werden, dass es dennoch zu einem astreinen Messerwetzen, allerdings beim Lasagne-Essen, kam. Diese Geschichte erfolgt mit der Unterstützung der Marke Joya, die Soja-Produkte herstellt und vertreibt. Eine redaktionelle Einflussnahme gab es nicht.]

Würdet ihr eure Häuser eigentlich als Theater beschreiben?
Thomas Frank: Schon. Das Brut ist ein Theater.
Wolfgang Schlag: Man kann den Theaterbegriff ja verändern. Es macht ja Spaß, sich von einem Begriff auch immer wieder entfernen zu können und nicht in solchen Strukturen festzukleben.
TF: Wien ist ja einerseits eine unglaublich starke, andererseits aber auch eine sehr traditionelle Theaterstadt, wenn man von den Festwochen absieht. Wir haben auch bei der Gründung von brut 2007 den Begriff „Theater“ bewusst außen vor gelassen. Einfach weil wir das Gefühl hatten, dass der Begriff in der Stadt auf eine Art und Weise belegt ist, die uns nicht gefallen hat. Es war uns ein besonderes Anliegen und auch eine existentielle Notwendigkeit Leute, die mit Theater nichts am Hut haben für dieses Haus zu interessieren. 

Und die Bedeutung des Begriffs ist mittlerweile weiter geworden?
TF: Heute sind wir in der Situation, wo eine Kunsthalle DramaturgInnen beschäftigt und wir KuratorInnen. Jetzt kann man, glaub ich, schon langsam wieder damit anfangen und den Theaterbegriff zurückzuholen und das, was man da so tut ein bisschen selbstbewusster als Theater zu behaupten. Nicht, dass wir so viel anderes machen würden, aber es hat sich allmählich durchgesetzt, dass Theater ein weiterer Begriff ist. 

Hat sich die Wiener Theaterlandschaft in den letzten Jahren so stark verändert?
WS: Ich glaub es hat sich vor allem auch die Künstlerlandschaft verändert. Zum Positiven. Es sind einfach sehr viele Leute nach Wien gezogen, die einen ganz anderen Blick auf Theaterprojekte haben und auch in thematisch weiteren Horizonten denken. Am Theater, das muss man schon noch immer sagen, braucht man klassischerweise zwei lustige Stücke für die Auslastung und zwei ernste für das Lehrerpublikum.
TF: Stimmt schon, es sind in den letzten Jahren viele Künstlerinnen und Künstler nach Wien gekommen, die ästhetische Entwicklungen beeinflusst und die eine andere Auseinandersetzung provoziert haben. 

Was macht den Reiz für Theater, abgesehen von den großen Bühnen, in Wien aus?
WS: Ich glaube, dass die Bedingungen in Wien projektweise an Geld zu kommen doch noch ganz gut sind, im Vergleich zu Deutschland und Berlin.
TF: Ich denk, das muss man ein bisschen relativieren. Also, dass Berlin arm aber sexy ist, stimmt halt nur zum Teil. Für die freie Szene zum Beispiel nicht. Für die Projektförderung ist schon eine Menge Geld da. Berlin hat natürlich das Problem, dass dort sehr viele KünstlerInnen wohnen, die alle um diese Töpfe kreisen. Und Berlin weiß auch, dass das ihr Kapital ist. Hier erlebe ich, auch innerhalb dieser Szenen, ein relativ großes Ungleichgewicht zwischen dem, was insgesamt zur Verfügung steht und dem, was am Ende bei den Projekten übrig bleibt. 

Wie funktioniert die Finanzierung eurer Projekte?
TF: Bei uns ist es so, dass die Künstlerinnen und Künstler für ihre Projekte selbst die Förderung beantragen. Das ist ein Modell, das ich als Arbeitsweise in der Szene sehr wichtig finde. Die KünstlerInnen bekommen das Gros der Produktionsmittel und sind damit erst einmal autonom. Wir treten als koproduzierende Einheit den KünstlerInnen entgegen und geben auch Geld in die Produktion rein. Wir versuchen ein möglichst gut aufgestelltes Haus zur Verfügung zu stellen, um auf einem möglichst professionellen Level die Ideen der Künstlerinnen und Künstler zu realisieren und auf verschiedene Formate und Inhalte eingehen zu können.
WS: Im Prinzip haben wir ein ähnliches Modell. Wir haben halt einen Bruchteil des Budgets, das Brut hat. Unser Budget kommt direkt vom Volkstheater. Der Hundsturm hat auch den Auftrag in der Region, in der sich der Hundsturm befindet, wirksam zu werden und prozesshafte Projekte zu entwickeln, die mit der Nachbarschaft zu tun haben und nicht zwingend in einer Aufführung enden müssen.

Wie seid ihr mit eurer eigenen Finanzierung zufrieden?
TF: Die künstlerische Produktion ist unglaublich gefräßig. Ich fänd‘s natürlich auch toll, über ein größeres Budget verfügen zu können. Letztlich steht und fällt der Erfolg eines Hauses wie Brut aber mit den Künstlerinnen und Künstlern. Wichtiger fände ich daher erstmal den Künstlerinnen und Künstlern mehr Geld zu geben. Über welchen Weg das geschieht, ist mir eigentlich Schnuppe.
WS: Ich rechne mich ja überhaupt nicht dem Thema Theater zu, ehrlich gesagt. Ich habe ein Haus, an dem ich schaue, dass Künstler, die mit spannenden und realisierbaren Projekten kommen, gute Bedingungen vorfinden. Das interessiert mich eigentlich am meisten. Ob da jetzt das Etikett Theater, bildende Kunst, Musik oder was auch immer draufsteht, ist mir ehrlich gesagt Schnuppe, um den Kollegen zu zitieren. Wichtig ist, dass Politik Künstler ernst nimmt und sich immer wieder die Realität der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Künstlern vergegenwärtigt. 

Wie sehen die Arbeitsbedingungen der Künstlerinnen und Künstlern bei euch aus?
TF: Künstlerinnen und Künstler, die bei uns arbeiten, sind gar nicht am Haus angestellt. Das sind freie Projekte. Und das ist ja auch unser Auftrag, mit freien KünstlerInnen hier zu arbeiten. Da gibt es durchaus auch Menschen, die davon ganz ok leben können.
WS: Das ist halt auch immer eine Verhandlungssache. Jeder von uns versucht natürlich die Künstler fair zu behandeln. Das gehört auch irgendwie zum Kunstbetrieb. Gerade wenn man Themen wie Kapitalismuskritik auf der Bühne spielt, kann man nicht hinter der Bühne die Künstler ausbeuten. Nicht, dass das nicht trotzdem irgendwo vorkommen würde. 

Versucht ihr mit der Programmierung ein spezifisches Publikum anzusprechen, oder ein möglichst großes Publikum für Theater zu begeistern?
WS: Ich programmiere nicht so, dass ich bestimmte Gruppen mit bestimmten Künstlern ansprechen möchte. Ich schaue eher, dass das künstlerische Angebot so offen ist, dass sich unterschiedliche Bevölkerungsschichten dort einfinden und treffen. Das funktioniert bis jetzt eigentlich sehr gut. Das Jugendthema beschäftigt mich sehr und über die Workshops – also Musikproduktion, Rap, Geschichten, die interessanterweise in Wien relativ wenig angeboten werden – erreichen wir ein total interessantes Publikum. Lehrlinge und Jugendliche aus der Gegend. Wir arbeiten auch mit Flüchtlingsinstitutionen zusammen. Das ist ein extrem interessant. 

Verbindest du damit einen pädagogischen Anspruch?
WS: Ich bin überhaupt nicht daran interessiert, dass die irgendwann mal im Volkstheater spielen, oder Volkstheater-Abonnenten werden. Mich interessiert der Begriff Volkstheater und was das noch sein kann. Was bedeuten Begriffe wie Arbeiter oder Peripherie überhaupt noch? Ich sehe unseren Auftrag aus der Geschichte des Hauses abgeleitet: Es ist ja ein altes Arbeiterwohnheim von Eisenbahnern. Früher war das ein Versammlungs- und Verhandlungsraum, Kino und Kabarett-Bühne für Eisenbahner. Nur das Theater ist übrig geblieben. 

Im Brut kennt ihr wahrscheinlich euer spezifisches Publikum?
TF: Wir haben natürlich ein Stammpublikum und kennen ungefähr dessen Erwartungslage. Gleichzeitig kann man auch im Brut kaum von "dem" Publikum“ reden. Das Publikum weiß schon relativ spezifisch, was es will. Es gibt dann für verschiedene Formate verschiedene Interessensgruppen. Wenn wir ein tanzlastiges Programm machen, dann kommen andere Leute als bei einem theaterorientierten Programm. Dann gibt es die Pop-Schiene mit Clubs und Konzerten, die sicher wieder andere Leute anspricht. Und dann gibt es eine Schnittmenge zwischen alledem. Aber es gibt nicht "das" Brut-Publikum
.
Und die thematischen Schwerpunkte sollen als Klammer zwischen den im Ausdruck recht unterschiedlichen Produktionen funktionieren?
TF: Als explizit interdisziplinär ausgerichtetes Haus ist es eben sehr wichtig, nie mit dem Bemühen aufzuhören, die Gleichberechtigung der verschiedenen Formate immer wieder zu betonen. Das geht am besten über eine inhaltliche Vermittlung und die Inbezugsetzung der unterschiedlichen Produktionen aus den unterschiedlichen Ecken, die wir programmieren.  Das schafft natürlich auch eine Orientierung im Programm. Anders als ein Stadttheater sind wir in der Situation, dass wir immer wieder unbekanntere Sachen zeigen. Von Künstlerinnen und Künstlern, von denen man noch nicht gehört hat, zu Inhalten, die manchmal etwas abstrakt klingen. Ein Burgtheater verlässt sich darauf, dass die Leute bei einem Schnitzler ihren Schnitzler bekommen. 

Seit ein paar Jahren geistert ja auch das Adjektiv „postmigrantisch“ im Theaterkontext herum. Hat diese dieses Konzept  für euch programmatisch irgendeine Relevanz?
WS: Den Begriff hat Shermin Langhoff vor ein paar Jahren irgendwo gelesen und damit in den deutschen Medien reüssiert. Aber das war es dann auch schon. Denn wenn man diesen Begriff im theoretischen Kunstkontext verwendet, dann wird man nie wieder zu einem Vortrag eingeladen. Dieser Begriff ist so etwas von post-post. Oder? Was bitte heißt postmigrantisch? Bei einer Diskussion über den Begriff war ein in Wien lebender afroamerikanischer Schauspieler dabei, der dann meinte: „In Wien hab ich es eh schon so schwierig, weil ich so ausschaue, wie ich ausschaue und immer als Othello eingeladen werde. Und dann sagt man zu mir noch, ich bin Migrant. Und jetzt bin ich plötzlich auch noch Postmigrant. Mir reicht‘s jetzt."
TF: Dieser Begriff ist auch eher politisch heiß gelaufen, dahinter stehen nur einige wenige Leute, die damit kulturpolitisch etwas einfahren wollen.

Ich find es ja schon schlüssig, dass der Begriff des postmigrantischen Theaters vor allem in der Politik offene Türen einläuft. Es lässt sich halt gut mit Diversity Management zusammendenken. Beiden ist vielleicht gemein, dass sie eher symbolische als faktische Relevanz haben?
TF: Vielleicht solltest du im Hundsturm einfach das Aktionslabor für postheimisches Theater machen, oder?
WS: Im Hundsturm ist das eigentlich schon Programm – wir machen postanimalisches Theater. Ich hab schon eine Meinung dazu, wie man als Institution mit dieser veränderten demografischen Situation in der Stadt umgehen kann. Ich glaube, das habe ich auch bei den Festwochen, bei „Into the City“ gezeigt, indem man solche Begriffe einfach gar nicht verwendet und die Leute ernst nimmt, mit ihnen gemeinsam Projekte entwickelt. An die Ränder der Stadt geht und ganz einfach ganz normal Kulturarbeit macht und nicht sagt: Ich bin ein ... das nächste Fettnäpfchen. Liegt The Gap eigentlich auch in der MA7 gratis auf? Da liegen ja immer so Zeitschriften. Sicher? Oder? 

Könnt ich mir schon vorstellen.
WS: Man sollte die Menschen einfach ernst nehmen, dann muss man keine Begriffe drüber schreiben. Ich glaube, dass sich dieser Thematik eher die großen Institutionen stellen sollten, die so tun, als würde die Stadt noch immer so ausschauen, wie vor hundert Jahren. Die haben ihre teuren Karten, ihre Abos, ihre ewiggleichen Künstlerprojekte. Dann gibt es noch diesen deutschen Theaterkanon. Den ständig rauf und runter zu spielen find ich auch furchtbar. Na klar, warum soll eine türkische Familie, die mittlerweile alle oder viele in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind, ins Burgtheater gehen. Der Bildungskanon, mit dem die aufgewachsen sind, bildet sich dort ja wahrscheinlich überhaupt nicht ab.
TF: Ich glaube nicht, dass das nur ein Thema für Menschen ist, die mit „postmigrantisch“ gemeint sind, sondern, dass das ein generelles gesellschaftliches Problem ist. Öffentlichkeit ist heute ausdifferenziert, eine bürgerliche Mitte, für die diese Häuser gebaut wurden, gibt es in der zeitgenössischen Stadt so nicht mehr.
WS: Es ist ja ziemlich langweilig über diese großen Tanker nachzudenken. Eine radikalere Zukunft könnte sein, kleinere Häuser zu haben. Das Spannende im Kulturbetrieb sind längst diese kleineren Häuser – wie Brut. Die Stadt sollte dezentraler gedacht werden. Mich stört dieser Kulturcluster mitten in der Stadt. Warum nicht ein zeitgenössisches Museum nach Floridsdorf bauen? Das wäre eine irrsinnige Belebung. Es ist eh genug los dort, aber das würde noch mal einen anderen Impuls setzen. 

Die Wiener MA7 regt ja in letzter Zeit vermehrt zu Kooperation zwischen den kleinen Bühnen an. Ich versteh nicht ganz warum es diesen Trend gibt, möglichst viele Häuser zusammenzuführen, die vielleicht gar nicht so viel miteinander zu tun und vielleicht gar nicht das Einsparungspotential haben?
TF: Du hast ja in deiner Frage, die Antwort schon fast mitformuliert. Es gibt eine gewisse Unentschiedenheit in der Kulturpolitik. Das Problem ist natürlich, dass in den letzten Jahren einige neue Spielstätten dazugekommen sind. Auf der anderen Seite kann man sich nicht  von Projekten und Häusern verabschieden – mit dem Ergebnis, dass diese Häuser, deren Aufgaben oder Arbeitsweisen in manchen Fällen nicht so klar definiert oder durchdacht sind. Damit meine ich vor allem das Verhältnis des Auftrags der Häuser zum Budget, das ihnen zur Verfügung steht. Das führt natürlich dazu, dass die alle auf die Projektfördertöpfe zugreifen wollen, die auch nicht größer werden.
WS: Vor allem, wenn neue Räume geschaffen werden – normalerweise müsste zuerst ein Konzept da sein und dann der Raum geschaffen werden.
TF: In der Regel läuft das leider anders rum.
WS: Ja, es wird das Haus gebaut und es gibt kein Konzept dazu. Auch nicht später. 

Ich frag jetzt nicht an welches Haus du dabei denkst.
WS: Ja, ohne das Kabelwerk damit in Verbindung bringen zu wollen, denke ich dass es am falschen Ort ist. Das Publikum am Kabelwerk interessiert sich null für das Kabelwerk. Angeblich gibt es im Kabelwerk den höchsten Anteil von FPÖ-Wählern im geförderten Wohnbau. Die interessiert das dort nicht. Eine U-Bahn Station weiter ist das Schöpfwerk. Das ist ein super Ort. Dort gibt es wirklich ein spannendes, interessiertes, offenes Publikum. Ich habe nie verstanden, warum man nicht dort einen solchen Raum hinbaut. 

Ihr scheint euch ja recht gut zu verstehen, wann gibt es die erste Kooperation zwischen Hundsturm und Brut?
WS: Steht an, eigentlich. Können wir wirklich mal machen.
TF: Ja, da können wir mal konkret werden. Mach mal den Rekorder aus.


Erschienen auf TheGap.at.
 



Donnerstag, 12. September 2013

Liebe Mitmenschen mit Autos

Ich mag euch ja und bin immer sehr dankbar, dass ihr mir ab und an eure Karre leiht. Ich fahre selber sehr gern Auto und verstehe sehr gut, warum ihr an den Dingern hängt. Ich bin euch auch nicht mehr böse, dass ich mit dem Rad schon ein paarmal in euren Dingern hing. Schwamm drüber, es tut auch nicht mehr weh. Eine FUZO-Polemik.

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In den letzten Tag bin ich zunehmend genervt von eurem Geseier über die Fußgängerzone, Begegnungszone oder einfach kurz: FUZO in der Wiener Mariahilfer Straße und wirklich enttäuscht darüber, mit welchen – teils astrein chauvinistischen –Argumenten ihr euch als politische unkorrekte Avantgarde wähnt und euer Recht einklagt, überall und jederzeit eine Tonne Blech durch die Stadt bewegen zu dürfen, um mit Lärm und Abgasen zu unser aller Wohlbefinden beizutragen. Ihr seid keine marginalisierte Gruppe, sondern eine Gruppe, die seit über sechzig Jahren alle anderen am Verkehr teilnehmenden Gruppen marginalisiert.

Das genuin unvernünftige Ding
Stimmt schon, ihr habt die Freiheit, Auto zu fahren. Aber glaubt mir bitte, dass eine Fußgängerzone nichts mit der Beschneidung eurer Bürgerrechte zu tun hat. Auf die Idee könnte man nämlich kommen, wenn ihr euch in euren Kommentaren als die letzten aufrechten Demokraten stilisiert, wobei ihr als urbane Menschen sehr viele Redneck-Qualitäten offenbart. Niemand will euch eure Freiheit nehmen, genuin unvernünftige Dinge zu tun, die nur euch ganz allein betreffen: Ihr könnt weiterhin, wenn ihr das wollt, vorm Einschlafen einen doppelten Espresso trinken, Chillipulver schnupfen, den Fön in der Badewanne verwenden oder von mir aus auch auf LSD Crack rauchen (oh, letzteres ist tatsächlich verboten, sorry). Euer Autofahren betrifft aber uns alle.

Eure Autos sind eine Umverteilungs­maßnahme von uns zu euch
Wir alle finanzieren euer Autofahren mit. Dabei geht es nicht nur um Dinge wie Abwrackprämie oder Pendlerpauschale. Wir alle bezahlen auch die Straßen, die vornehmlich ihr benützt. Klar, die LKWs, die das Zeug, das ich im Supermarkt oder sonst wo kaufe, liefern, befahren die auch. Die fahren aber nicht so sinnlos – sorry, ineffizient – durch die Gegend wie ihr. Wenn das so wäre, gebe es keine Frächter mehr, weil die alle pleite wären.


Eure Regeln sind für uns sinnlos
Wir sind alle mit Regeln konfrontiert, die es nur gibt, damit ihr ungestört Autofahren könnt. Ungestört heißt eben auch, ohne uns an- oder umzufahren. Die Reglementierung öffentlicher Verkehrsflächen ist vor allem auf eure Bedürfnisse zurückzuführen und nicht auf unsere. Eine Stadt, in der nur Fußgänger unterwegs sind, würde gar keine Regeln brauchen, kaum Flächen kennen auf denen man nicht gehen oder stehen dürfte. Mit Radfahren wird es dann schon etwas komplizierter. Eine Rechtsregel würde aber wohl reichen und es gäbe noch immer genug Platz, um zu Fuß oder per Rad ungefährdet und zügig voran zu kommen. Eure Autos brauchen aber ganz viele Regeln, die uns alle in unseren Freiheiten beschneiden und zum Stillstand zwingen. Dennoch warten wir meist, weniger geduldig als ungeduldig, bevor uns eine Lampe erlaubt, jetzt die Straße überqueren zu dürfen. Von einer „Gleichberechtigung aller Verkehrsteilnehmer“ zu schwadronieren, wie das Christian Weissinger, Initiator der Facebook-Seite „Gegen Mariahilferstraßenumbau“, tut, entbehrt in Anbetracht des Ausmaßes des Automobilverkehrs jeglicher Grundlage.

Eure Autos besetzen unseren Lebensraum
Wenig gerecht scheint mir auch, dass Grünflächen im 6. Wiener Gemeindebezirk (Mariahilf) nur zwei Prozent, Verkehrsflächen (dabei sind Parkplätze miteingeschlossen) aber 30 Prozent ausmachen – die entsprechenden Zahlen für den 7. Bezirk (Neubau) liegen bei drei Prozent bzw. 24 Prozent. Ich benutze die Straßen auch – zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit Öffis. Dabei brauch ich aber nur temporär einen Bruchteil des Platzes, den ihr permanent belegt. Auch hier kann man nicht ernsthaft von Gleichberechtigung sprechen. Eure Karren brauchen allein beim Rumstehen – was sie ja so gut wie immer tun – schon ca. zehn Quadratmeter. Ganz ehrlich, das was ihr dafür zahlt, dass ihr unser aller Lebensraum mit eurem Privatgerümpel zumüllen könnt, ist, gelinde gesagt, ziemlich lächerlich. Habt ihr schon einmal darüber nachgedacht, wie man Raum in der Stadt sinnvoller als für Straßen oder Parkplätze nutzen könnte? Wäre es nicht auch schön, wenn Kinder, die in Neubau aufwachsen, vom Anblick eines Baumes und nicht eines Autos überrascht wären? Ja, das war gerade populistisch, aber irgendjemand muss ja auch mal an die Kinder denken.

Eure Autos schädigen auch unsere urbane Umwelt
Natürlich, es wär auch vernünftig, die Ressourcen, die die Herstellung und der Betrieb eurer Autos verbrauchen, anderweitig zu verwenden. Ich bin zwar weit davon entfernt zu behaupten, dass ihr selbst abgedrückt habt, gebe aber zu bedenken, dass für die Aufrechterhaltung der Rahmenbedingungen eines „fossilistischen“ – also auf Erdöl basierenden – Lebensstils Kriege geführt werden. Euer Autofahren ist ein zentraler Eckpfeiler dessen. Ganz zu schweigen davon, dass eure Abgase den Klimawandel anheizen. Nicht mit dem Auto fahren, würde das natürlich verlangsamen. Keines zu besitzen uns Chancen eröffnen, die Auswirkungen des Klimawandelns abzufedern. Eine davon ist nämlich ein längerfristiges Ansteigen der Temperaturen in Wien. Dem lässt sich nicht nur durch die Aufrüstung unsere Gebäude in stromsaugende Kühltruhen beikommen. Effizienter und ökologischer wäre es, auf Verdunstungskühle zu setzen. Das funktioniert aber nur, wenn wir das Wasser im Sommer in der Stadt halten können. Dazu könnte man Fassaden und Dächer begrünen und dort, wo eure Autos jetzt rumstehen, Grünflächen schaffen und Bäume pflanzen. Aber da stehen ja eure Autos rum, weshalb wir eben einfach alle ein bisschen mehr schwitzen. Aber klar, eure Autos haben eh bereits jetzt eine Klimaanlage – und verbrennen so noch ein bisschen mehr Sprit.

Eure Autos sind ein Sicherheitsrisiko – sie töten uns und euch selbst
Physik find ich des Weiteren auch ungerecht, vor allem den Teil mit „T=1/2mv²“. Das heißt nämlich, dass kinetische Energie von der Masse und von der Geschwindigkeit zum Quadrat dieser abhängt. Da Fahrradfahrer tendenziell etwas leichter und langsamer sind, als ihr es in euren Autos seid (und auch keine Knautschzone haben), schneiden sie im direkten Duell eher schlecht ab. Fußgänger genauso, habt ihr vielleicht aber ohnedies schon bemerkt. Und selbst wenn sich Fahrradfahrer „rowdyhaft“ verhalten, haben die nur einen Bruchteil eures Schadenpotentials. 2012 wurden in Wien 265 Fußgänger und 127 Fahrradfahrer schwer verletzt, diesen stehen 73 schwer verletzte PKW-Lenker gegenüber. Gesamt 24 Personen starben im Wiener Straßenverkehr, darunter 16 Fußgänger, aber nur (bitte nicht falsch verstehen) zwei PKW-Lenker.

Back to the FUZO
Wenn euch das alles wirklich neu ist, dann lasst die Karre in Zukunft einfach öfter einmal stehen, und wir reden einfach nicht mehr darüber. Passt schon. Geht zu Fuß, fahrt mit dem Rad oder nehmt die Öffis. Wenn ihr das aber eh schon seit Jahren wisst, dann hilft es auch nicht, öffentlichen Verkehr und Fahrradfahren attraktiver zu machen. Dann ist das einzige, das funktioniert, euch das Autofahren zu vermiesen. Und das klappt nun mal am besten, in dem man Verkehrs- und auch Stellflächen anderen Verkehrsteilnehmern exklusiv zur Verfügung stellt. Sorry Leute, aber Raum ist in einer so dicht bebauten Stadt wie Wien nun mal begrenzt, und ihr braucht einfach zu viel davon.
Ob die FUZO in ihrer aktuellen Form der Weisheit letzter Schluss oder Kurzschluss ist, darüber kann und wird man streiten. Deswegen heißt es ja aber auch Testphase. Was aber wohl bleiben wird, ist das Fahrverbot auf der Mariahilferstraße und die Intensität des Verkehrs in den Parallelstraßen. Natürlich dürft ihr weiterhin darüber jammern, wenn ihr euch und eure Kumpels permanent zustaut. Aber Leute, für den Stau seid nur ihr selber mit eurem Verhalten verantwortlich. Die Rahmenbedingungen werden sich (hoffentlich und vernünftigerweise) nicht mehr zu euren Gunsten verändern. Seit der Reichsgaragenordnung 1939 galt die „autogerechte Stadt“ als Leitbild, aber das verblasst mittlerweile zusehends (oder wurde mittlerweile auch schon von Puber übersprayed, womit ich nun die beiden großen Sommerthemen zusammengeführt hätte).
Nutzt doch die Testphase und versucht neue Arten der Mobilität für euch zu entdecken. Solltet ihr selbst Anrainer an einer der Ausweichstraßen sein, organisiert euch und regt weitere Verkehrsberuhigungen an, wenn ihr nicht in und an eurem eigenen Mobilitätsverhalten ersticken wollt. Wahlweise könnt ihr auch gern vor euch hinsudern und raunzen. Aber ab jetzt bitte still und leise. Über sechzig Jahre hat das Auto die Stadt dominiert und nun ändert sich das halt langsam. Deal with it! Die Stadt gehört uns allen und nicht nur euren Karren.

Erschienen auf BIORAMA.at.