Nein, eine Bühnenfassung von "Lost" wird es vorerst nicht geben. Was das
Theater von Serien lernen könnte, ob das überhaupt geht – und wenn ja,
was genau, und was das mit ihrem aktuellen Stück „Previously On“ in der
Garage X zu tun haben könnte, erklärt uns die Dramatikern Gerhild
Steinbuch.
| "Previously On" BILD: Yasmina Haddad |
Gerhild Steinbuch ist Dramatikerin, 1983 in Mödling geboren und wurde
bereits mehrfach ausgezeichnet, ihre Stücke quer im deutschen
Sprachraum gespielt, aber auch ins Englische übersetzt. Gerade ist sie
wieder in Wien um ihre neue Arbeit „Previously On“ vorzubereiten, bei der sie neben Philine Rinnert und Sebastian Straub auch selbst als Performerin mitwirken wird.
Mitten im Endprobenstress haben wir sie getroffen, um mir ihr über
Dinge zu reden für die sie im Moment (Endprobenstress!) sicher keine
Zeit hat: Serien. Grund dafür ist nicht etwa ausgeprägter Sadismus
unsererseits, den es natürlich auch gibt, sondern der Titel ihres neuen
Stücks: „Previously On“. Wie der Titel nahe legt, könnte das nämlich
auch was mit Serien zu tun haben. Was genau das sein könnte, verrät sie
uns im Laufe des Gesprächs.
Wenn man deine Biographie betrachtet, fällt auf, dass sich da
recht viele Stipendien, quasi in Serie, aneinanderreihen. Ist diese
Episodenhaftigkeit etwas, dass das künstlerische Arbeiten überhaupt
auszeichnet?
Man arbeitet ja immer episodenhaft, da man immer von Projekt zu
Projekt arbeitet. Grundlegende Themen ziehen sich durch mehrere
Projekte, Figuren lassen einen dann auch nicht so schnell los und
tauchen in unterschiedlichen Konfigurationen in unterschiedlichen
Produktionen wieder auf..
Was sind deine zentralen Themen?
Mich interessieren Übergriffigkeiten. Also im verbalen Sinn. Wo
Sprache übergriffig wird und was aus einem heraus, was aus der Sprache
spricht. Welche Strukturen stecken da drin, welche Macht. Daher suche
ich mir unterschiedliche Szenarien, in denen ich dazu arbeiten kann.
Zeit zum Serienschauen hast du dann aber selber wohl weniger?
Also ich schau schon sehr gern Serien. In letzter Zeit jetzt nicht so viel, aber im Moment bin ich bei "Homeland"
gerade ganz gut drinnen. Das mag ich auch ganz gern, weil das auch
nicht so zuverlässig ist. Man glaubt immer es gibt eine gesicherte
Struktur, aber die gibt es dann gar nicht.
Und was sind deine Alltime-Favourites?
Ich habe ein bisschen einen Superhelden-Fimmel. Das wird man dem
Abend auch ein wenig anmerken. Ich mag die erste Batman-Serie. Sowohl im
Original, als auch in der Synchronfassung. Sonst natürlich auch noch "Buffy" oder "Twin Peaks".
Twin Peaks finden ja irgendwie alle gut. Das muss man ja schon
fast nicht mehr sagen. Bei Buffy gibt‘s da mehr Angriffsflächen ...
… was ich aber gar nicht verstehen kann. Zumindest dann, wenn man es
im englischen Original schaut. Die haben es geschafft eine Serie für ein
wahnsinnig großes Publikum, das einfach unterhalten werden will, zu
machen und gleichzeitig eine zweite Ebene für ein Nischenpublikum
einzuziehen. Die gehen auch toll mit dem Format um. Welche Frauenfiguren
die haben und wie sich Teenager-Probleme in die Dämonenwelt
hineinspiegeln, find ich großartig. Dann gibt es auch noch diese tolle Musicalfolge ... Es gibt ja auch einen großartigen Essay von Dietmar Dath über Buffy.
Gibt es dann etwas, das du von diesen Serien fürs Theater mitnimmst?
Ich finde eher die Serien interessant, die sich nicht vor allem darum
drehen einer Figur über eine bestimmte Strecke zu folgen, sondern bei
denen die klassische Erzählstruktur die Folie für etwas anderes bildet.
Ich mag etwa "Mad Men"
sehr gern, weil es immer behauptet in einer längst vergangenen Zeit zu
spielen aber viele der politischen Aspekte in der Handlung sind
Referenzen auf das tagespolitische Geschehen der Gegenwart. Das finde
ich interessant: dass dir etwas erzählt wird, aber damit gleichzeitig
auch noch etwas ganz anderes. Konventionelle Geschichten als Folie zu
verstehen. Das ist vielleicht auch etwas, was wir in das aktuelle
Projekt mitgenommen haben.
Ist diese Vielschichtigkeit von Texten, wie etwa klassischerweise
bei Shakespeare, wo der Text für unterschiedliche Zielgruppen
funktioniert, etwas wo aktuelle Serien Theater überlegen sind?
Serien haben halt konsequent ihre Dramaturgie weitergedacht. Manchmal
hab ich im Theater das Gefühl, dass man versucht einzelne Formate
eins-zu-eins zu übernehmen, anstatt sich mit den Qualitäten des eigenen
Mediums zu beschäftigen. Ich glaube, man muss versuchen am Medium
konsequent weiterzudenken, anstatt blind das eine aufs andere zu
übertragen.
Kann man sich von Serien etwas in Punkto Erzählen abschauen oder
muss man im Theater aufgrund des viel knapperen, zeitlichen Rahmens
sowieso anders erzählen?
Man muss vielleicht anders erzählen, aber ein knapperer zeitlicher
Rahmen heißt nicht, möglichst geschlossen oder einfach erzählen zu
müssen. Man kann auch einfach mit dem Prozess des Erzählens offen
umzugehen, ihn untersuchen und befragen.
Darum wird es auch in der aktuellen Arbeit gehen?
Ja, wir versuchen bewusst offen zu legen, dass sich zu dritt diese
Geschlossenheit des Erzählens nicht herstellen lässt. Die lässt sich im
Theater ja sowieso nicht bewerkstelligen, weil immer Leute
aufeinandertreffen, die jeweils eigene Perspektiven auf den Stoff haben.
Es gibt bei unserem Abend bewusst keine Regie, die den Prozess von
außen bündelt, die dann sagt „so und so und so“, also keine Vision, die
dann den schönen Rahmen schafft.
Das habt ihr in dieser Konstellation ja schon einmal erprobt…
Wir haben bereits einmal beim Steirischen Herbst eine ähnliche Arbeit
gemacht, wo wir mit einem Wiederholungsprinzip gearbeitet haben. Der
Abend lief im Loop, die Anlage war eher installativ. Und wir haben uns
in der damaligen Arbeit mit der Konstruktion einer Geschichte- einer
Heldenreise beschäftigt, die dann aufgebrochen und dekonstruiert wird.
Im aktuellen Stück wollten wir das fortführen: Den installativen
Charakter, die gemeinsame Konstruktion einer Geschichte, das Ansammeln
von Erzählansätzen, die man versucht in eine Form zu kriegen.
Auf dieses Serienprinzip verweist auch der Titel „Previously On“?
Der Titel verweist darauf, dass wir die Arbeit als Fortführung
unserer ersten gemeinsamen Arbeit verstehen. Außerdem bezieht er sich
darauf, dass jeder Abend eine neue Geschichte, neue Geschichten über
einen Herrn P. erzählt, der uns als Sammelbecken und Rahmen dient;
Geschichten, die in einer späteren Vorstellung wieder aufgegriffen,
variiert oder weitererzählt werden können.
Wie kann ich mir den Abend konkret vorstellen?
Wir – Sebastian – Performance, Philine – Raum – und ich – Text -
sitzen gemeinsam an einem Tisch auf der Bühne, quasi unsere
Gemeinschaftsinsel und spielen ein Spiel um die Erzählhoheit der jeweils
nächsten Szene. Von dort aus entstehen dann Erinnerungen oder
Konstruktionen der Geschichte des Herrn P., die wir aus unseren drei
Perspektiven erzählen. Jeder von uns greift in den Abend ein und erzählt
die Geschichte weiter, aber immer aus seinem Element heraus. Die Ebene
an der alles hängt sind wir. Die Konstellation von drei Menschen, die
gemeinsam eine Geschichte erzählen wollen, um sie wettstreiten oder dann
doch versuchen eine gemeinsame, nicht lineare aber auch nicht beliebige
Geschichte zu finden. Diese Zusammenarbeit aus drei unterschiedlichen
Perspektiven ohne ordnende Instanz, in der sich Narrative verbinden oder
eben nicht.
Wie funktioniert Erzählen für dich im Idealfall?
Tatsächlich in einem solchen Gruppenprozess. Ich muss noch dazusagen,
wir sind bei dem Projekt nicht alle auf derselben Linie, haben
unterschiedliche Ansätze. Sebastian ist zum Beispiel ein großer Fan
klassisch konstruierter Geschichten. Ich weiß, wenn ich nur für mich bin
und ich jede Erzählung anzweifle, besteht die Gefahr, dass vielleicht
überhaupt keine Erzählung mehr zustande kommt. Das Schöne an unserem
Prozess ist eben dieses Abarbeiten an den unterschiedlichen Perspektiven
auf das Erzählen, das gezielte Nutzen der unterschiedlichen Ansätze und
Vorlieben. Ich finde gerade dieses Zusammenspiel eine gute Art zu
erzählen.
Woher kommt deine Lust am nichtlinearen Erzählen oder am Dekonstruieren linearer Erzählungen?
Bei mir ist es so, dass ich mein eigenes Leben nicht in einer so
klassischen Narration erzählen könnte und mich da nicht wiederfinde. Ich
denke, man muss andere Formen finden, in denen Parallelerzählungen
möglich sind, mehrere Wirklichkeiten. Oder zwei Parallelfiguren oder
sogar mehrere. So nehme ich zumindest meine eigene Lebensrealität wahr.
Previously On
Von und mit: Gerhild Steinbuch, Philine Rinnert, Sebastian Straub
Garage X, Termine: 9. bis 11. April jeweils 20.00 Uhr.
Erschienen auf TheGap.at.