Montag, 11. August 2014

Mondsüchtig

Fakt oder Fiktion? Um den Mond und seine Wirkung ranken sich viele Geschichten und Vorstellungen. Wirklich unstrittig sind neben seiner Existenz nur Ebbe und Flut.

Wann nur ist der richtige Zeitpunkt, um diesen Artikel zu schreiben? Der Blick in den Mondkalender von Tageszeitungen und Frauen-Magazinen hält dazu nur wenige Informationen bereit. Es ist ein guter Tag zum Putzen, Waschen und Blumen gießen. Aber ein schlechter, um Haare zu schneiden. Für schlankere Fesseln soll ich die Waden heute mit Entschlackungsöl einreiben und beim Laufen auf die Sprunggelenke achten. Feiern ist heute auch eher ungünstig – das könnte aber auch daran liegen, dass es mitten unter der Woche ist. Und überhaupt: »Wie man am angegriffenen Nervenkostüm so vieler Zeitgenossen ablesen kann, ist Vitamin-B-Mangel heute schon fast trauriger Normalzustand.« Abhilfe verspricht aber, »Sellerie über längere Zeit im Speiseplan willkommen zu heißen.«


Jahrhundertealtes Wissen?

Mondkalender bauen vor allem auf vier Erklärungsansätzen auf:
  1. Der Mond wirkt auf die Flüssigkeiten in Zellen von Menschen, Tier und Pflanzen wie auf das Wasser der Ozeane. Würde das so stimmen, könnte man in der Wanne ganz gut Ebbe und Flut beobachten. In den Ozeanen funktioniert das auch nur aufgrund der riesigen Wassermengen. Selbst die Wassermenge der meisten Seen ist nicht ausreichend.
  2. Abnehmender Mond wird allgemein mit Entfernen gleichgesetzt – egal ob Bauch, Haare, Mitesser, Schmutz oder Früchte vom Baum. Alles, was mehr werden soll, hat im zunehmenden Mond zu passieren.
  3. Der Mond verändert das Magnetfeld der Erde und das wirkt ja auf alles – wie genau ist nebensächlich.
  4. Man spricht überhaupt nur vage von Energien und hält sich erst gar nicht mit Erklärungsversuchen über deren Beschaffenheit auf.

Der Hinweis darauf, dass es sich dabei um jahrhundertealtes Wissen handelt, das die moderne Welt nur allzu gern verdrängen würde, reicht, um den einschlägigen Lebensratgebern Glaubwürdigkeit zu verleihen. Die suggerierte Kontinuität dieses Wissens ist aber faktisch falsch: »Das in den heutigen Mondkalendern vermittelte ,Wissen‘ ist kein uraltes, empirisches Bauernwissen, wie in den Kalendern zur Legitimation der Regeln behauptet wird. Vielmehr sind es die Versatzstücke ehemals elitekultureller Welterklärungssysteme, die mehrmals aus dem jeweiligen Zusammenhang genommen und neu kontextualisiert wurden«, schreibt Helmut Groschwitz, Kulturwissenschaftler der Universität Regensburg.


Gesicherte Mondeffekte

Der Mond hat keinen Einfluss auf die Geburtenhäufigkeit, das Wachstum von Pilzen oder die Qualität des Holzes. Interessant ist aber, dass erste Studien zu letzterem Thema aus dem frühen 18. Jahrhundert stammen. Auch zu diesem Zeitpunkt konnte kein Effekt nachgewiesen werden. Und um das etwas zu beschleunigen: Edgar Wunder, Geschäftsführer der Gesellschaft für Anomalistik e.V. in Heidelberg, hat mehr als 600 Studien über die Zusammenhänge von Mond und menschlichem Alltag untersucht. Ergebnis: Sie existieren nicht oder basieren auf unwissenschaftlicher Methodik. Auch die meisten Vollmond-Alltags-Anekdoten lassen sich durch »selektive Wahrnehmung« und »bestätigende Erwartung« erklären. Einzelne Phänomene wie Schlafstörungen bei Vollmond können sich gar zu »sich selbst erfüllenden Prophezeiungen« auswachsen.

Als gesicherte Effekte des Mondes können nur die Gezeiten und der Einfluss des Mondlichts auf nachtaktive Spezies gelten. Neben diesen beiden ist der sicherste Effekt des Mondes der auf das Kaufverhalten der Konsumenten. Das allerdings mit wechselndem Erfolg. Das Buch »Vom richtigen Zeitpunkt« von Johanna Paungger und Thomas Poppe wurde in 22 Sprachen übersetzt und verkaufte sich mehr als 2,5 Mio. Mal. Auch nach dem Mondkalender geschlagene Christbäume verkaufen sich recht gut, ebenso wie Demeter-zertifizierte Nahrungsmittel. Das kann aber auch einfach daran liegen, dass deren Herstellung nicht nur einem anthroposophischen Kalender folgt, der »irdische und kosmische Lebenszusammenhänge und Rhythmen berücksichtigt«, sondern gleichzeitig eben biozertifiziert ist. Weniger Glück ist dagegen Red Bulls »Lunaqua«-Wasser beschieden, das nur bei Vollmond abgefüllt wird. »Wissenschaftliche Messungen belegen, dass die bioenergetischen Qualitäten des Wassers bei Vollmond die stärkste Ausprägung erfahren.« Die Studien dazu sucht man genauso vergebens wie die offizielle Website, auf der dieser Satz noch vor einiger Zeit zu lesen stand. Abgefüllt wird das Mond-Wasser aber nach wie vor.

Und zum Ende noch die unumstößlichen Fakten über den Mond: Erstens – er existiert. Zweitens – er besteht aus Material der Erde und drittens – die Amerikaner haben ihn wirklich besucht. So, jetzt ist es Zeit für Entschlackungsöl und Vitamin B gegen das angegriffene Nervenkostüm.


Mondfakten

Ivan Kelly, James Rotton und Roger Culven haben in »The Moon was full – and nothing happened« mehr als hundert Studien untersucht und fanden keinerlei signifikante Effekte des Vollmonds. Hier eine Liste von Dingen, die der Mond nicht beeinflusst:
  • Aggressionen bei Hockeyspielern
  • Alkoholismus
  • Einweisungen in Nervenheilanstalten
  • Entführungen
  • Geburten
  • Gefängnisgewalt
  • Gewalt in der Familie
  • Katastrophen
  • Lykanthropie
  • Messerstechereien
  • Mordanschläge
  • Mordrate
  • Notaufnahmen
  • Notrufe an Polizei oder Feuerwehr
  • Schlafwandeln
  • Schusswunden
  • Selbstmord
  • Überfälle
  • Unruhe in Pflegeheimen
  • Vampirismus
  • Verkehrsunfälle
Erschienen in Biorama #32 und hier.

Mittwoch, 25. Juni 2014

Hormonaktive Kunststoffe

Bisphenol A sorgt für biegsames Plastik, aber wahrscheinlich auch für Entwicklungsstörungen und chronische Krankheiten.

Eine Studie der U.S. Food and Drug Administration, die Lebensmittelüberwachungs- und Arzneimittelzulassungsbehörde der USA, sorgt für Aufsehen. Laut dieser hat Bisphenol A (BPA) in niedrigen Dosen keine Auswirkungen auf die Gesundheit schwangerer und neugeborener Ratten. Ein Ergebnis, das von vielen Experten stark angezweifelt wird. Was die Studie aber unbeabsichtigt auch zeigt: BPA ist praktisch überall und unvermeidbar. In den Tieren der Kontrollgruppe, denen die Substanz nicht verabreicht wurde, fanden sich vergleichbar hohe Mengen wie in jenen der Versuchsgruppe. Wie es in die Tiere der Kontrollgruppe gelangte, ist nach wie vor nicht geklärt.

Bisphenol A steht im Verdacht, die Entwicklung von Adipositas, Diabetes, Asthma, kardiovaskuläre Erkrankungen und die Bildung von Prostata- und Uteruskarzinomen zu begünstigen. Des Weiteren gilt es als Faktor bei verfrüht einsetzender Pubertät und Störungen der Fertilität und der Gedächtnisleistung. In den letzten zwanzig Jahren hat die Forschungstätigkeit auf diesem Gebiet rasant zugenommen und Studien mit teils konträren Ergebnissen hervorgebracht. 

Für Klaus Rhomberg, Umweltmediziner in Innsbruck, erklären sich diese stark abweichenden Studienergebnisse nicht nur aufgrund rein wissenschaftlicher Kriterien: „Noch nie hat eine von der Industrie finanzierte Studie die Gefahren von BPA bestätigt. Umgekehrt gibt es keine Studie unabhängiger Forscher, die BPA als unbedenklich einstuft.“ 

Eine Einschätzung, die auch Frederick vom Saal von der University of Missouri in Columbia teilt. Er wertete 115 Studien aus. Keine einzige von der Industrie finanzierte Studie brachte schädliche Ergebnisse zutage. Dagegen berichteten neun von zehn Studien von Universitäts- oder Regierungsforschern von schadhaften Veränderungen. Allein in den USA steht hinter der Produktion von BPA eine Sechs-Milliarden-Dollar-Industrie von nur fünf Unternehmen.

Fast jeder trägt es in sich
Um die vorletzte Jahrhundertwende in Marburg erstmalig hergestellt, sollte es dreißig Jahre dauern, bis BPA wieder Aufmerksamkeit auf sich zog. Auf der Suche nach einem Ersatzstoff für Östrogen wurde es von britischen Biochemikern in den Dreißigerjahren wiederentdeckt, aber aufgrund seiner schwachen Wirkung wieder eingemottet. 

Ein halbes Jahrhundert später, als Plastik schon längst seinen Siegeszug angetreten hat, taucht es wieder in größeren Mengen auf. Diesmal als Bestandteil von Polykarbonaten. In den Achtzigerjahren, als der Verbrauch von Plastik erstmals den von Stahl überstieg, begann BPA dramatisch an Bedeutung zu gewinnen. Mittlerweile werden jährlich rund vier Millionen Tonnen produziert, was BPA zu einer der häufigsten Chemikalien macht.

BPA wirkt in Kunststoffen wie ein Schmiermittel. Es erlaubt langen Molekülketten, aneinander vorbeizugleiten. So werden harte und spröde Polykarbonate weich und biegsam. Es findet sich in Kunstoffbehältern und -flaschen sowie medizinischen Geräten. Es kommt aber auch in Epoxidharzen vor. Diese dienen als Beschichtung bei Konserven- und Getränkedosen, Trink- und Abwasserbehältern sowie -rohren. Im Körper wirkt BPA wie das Hormon Östrogen. Auch Phthalate weisen diese Wirkung auf. Sie finden vor allem in Polyvinylchlorid (PVC) Anwendung, das bei Lebensmittelverpackungen, aber auch in der Medizin weit verbreitet ist.

Kunststoffe sind, so unverwüstlich sie uns erscheinen mögen, recht fragile Gebilde. Gerade unter Einwirkung von Sonne, hohen Temperaturen oder mechanischen Belastungen verändern sie sich. Sie können vergilben, schmelzen, brechen oder zerkratzen und setzen für uns unsichtbar Inhaltsstoffe frei. Gerade im Kontakt mit heißem Wasser löst sich BPA besonders gut aus Plastik. Über in Kunststoff oder in Konservendosen verpackte Lebensmittel gelangt BPA in den menschlichen Körper. Im Trinkwasser kommt es so gut wie nicht vor. Die meisten Menschen tragen Spuren von BPA in sich. Das National Health and Nutrition Examination Survey 2003–2004 ergab, dass 93 Prozent der US-Bevölkerung über sechs Jahren Spuren von BPA im Urin aufweisen.

Selbst in niedrigen Dosen wirksam
BPA ist nicht nur ein Lehrstück über den Wert unabhängiger Forschung. Es ist eine neuartige Herausforderung für alle damit befassten Disziplinen und stellt gängige naturwissenschaftliche Versuchsanordnungen vermehrt vor Probleme. Die Ergebnisse von Tierversuchen lassen sich nur bedingt auf Menschen übertragen, die Versuchsanordnungen selber aus naheliegenden Gründen gar nicht. Die Aufnahme von BPA oder Phthalaten erfolgt oft unbewusst und in Kombination mit vielen anderen Umwelteinflüssen. Allein schon in Kunststoffen finden sich oft Mischungen von BPA und unterschiedlichen Phthalaten. Die Wechselwirkungen zwischen diesen Substanzen sind weitgehend unbekannt. All das macht es auch so schwierig, lückenlose Evidenzketten zu konstruieren, wie etwa zwischen Tabakkonsum und Lungenkrebs oder kalorienreicher Kost, wenig Bewegung und Übergewicht.

Erschwerend kommt hinzu, dass sich hormonaktive Substanzen nicht wie einfache Giftstoffe verhalten. „Bei hormonaktiven Substanzen lässt sich zwischen Menge und Wirkungen keine einfache Kurve ableiten“, sagt Johannes Steinwider von der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit. Niedrige verhalten sich oft anders als hohe Dosen. Neben der Menge ist auch der Zeitpunkt der Aufnahme des Wirkstoffs wichtig. 

„Bei der Entwicklung des Kindes im Mutterleib gibt es Zeitfenster, wo schon geringste Dosen einen großen Einfluss haben. Da reichen wenige Moleküle pro Zelle und man hat schon einen Effekt. Wenn das Fenster nicht offen ist, kann man höher dosieren, ohne eine Wirkung festzustellen“, erklärt Umweltmediziner Rhomberg. Gerade Neugeborenen fehlen die Enzyme, um hormonwirksame Substanzen umzuwandeln und auszuscheiden. Schon kleine Mengen gelangen so ungehindert in die Blutbahn. Für Steinwider ist daher klar, dass es Erweiterungen etablierter toxikologischer Konzepte bedarf, um die Risiken dieser Wirkstoffe abwägen zu können. 

Ist ein Verbot kontraproduktiv?
Die Dynamik der Debatte lässt sich auch anhand der in der EU gültigen Grenzwerte beobachten. Bis 2006 galten zehn Mikrogramm pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag als sicher und unbedenklich. Im Lichte neuer Studien betrachtete die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit die Risiken von BPA als bekannt und kalkulierbar und erhöhte unter massiven Protesten von Forschern und NGOs aus Umwelt und Konsumentenschutz den gültigen Grenzwert auf 50 Mikrogramm. Infolge einer Neuevaluierung wurde der Grenzwert für BPA zu Beginn des Jahres auf fünf Mikrogramm gesenkt. 

Nun geht man europaweit von einer Beeinträchtigung der Entwicklung und möglicher Minderung der Fruchtbarkeit aus. Daher gilt ein Verbot für BPA in Babyfläschchen. In Österreich sind auch BPA-haltige Schnuller verboten. In Frankreich gilt ein generelles Verbot von BPA in Lebensmittelverpackungen für Kindernahrung. Im nächsten Jahr soll das Verbot auf sämtliche Lebensmittelverpackungen ausgeweitet werden. In der Schweiz nimmt man dagegen von einem solchen Verbot Abstand. Dieses würde zum Einsatz wenig erforschter Stoffe führen. „Das würde bedeuten, dass ein gut charakterisiertes Risiko durch ein deutlich schlechter einschätzbares Risiko ersetzt würde“, folgert das Schweizer Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen. 

Auch Rhomberg hält ein Verbot von BPA für zu kurz gegriffen: „Es macht keinen Sinn, eine Substanz gegen eine andere zu ersetzen, die bestimmt auch wieder Nebenwirkungen haben wird. Es braucht einen grundlegenden Wertewandel und ein anderes Konsumverhalten abseits einer von Plastik dominierten Wegwerfgesellschaft. Grundsätzlich kann uns nur die Rückkehr zu Naturstoffen bzw. zu altbekannten Werkstoffen wie Glas, Porzellan oder Keramik aus dem Dilemma helfen.“

Erschienen in Falter - Heureka: Plastikland. Der achte Erdteil (3/14)   


Mittwoch, 14. Mai 2014

Love Football, Hate Homophobia!


Homophobie ist noch immer hoffähig im Fußball, während sich in anderen Gesellschaftsbereichen eine Normalisierung abzeichnet. Doch auch im Fußball gibt es eine nach-holende Entwicklung.
 
Georg Spitaler - Universität Wien. BILD: Georg Spitaler

„Ivo, jetzt bist du ein echter Österreicher“ titelte die Kronenzeitung nachdem der in Kroatien geborene Ivica Vastic bei der Fußball-WM 1998 den Ausgleichstreffer zum 1:1 Endstand gegen Chile erzielte. Die Schlagzeile ist Ausdruck der Idee, Sport und sportliche Leistungen als Integrationsinstrument  für MigrantInnen zu betrachten. Diese Überlegung ist nicht unstrittig, schafft Sport doch auch Rivalitäten. Bisweilen ist auch unklar, wer sich worin integrieren soll und was das dann heißen soll. Sport und Fankultur haben einen merkwürdigen Doppelcharakter: sie schaffen Zugehörigkeiten, können aber genauso gut zum Ausschluss von Menschen führen, die als „anders“ wahrgenommen werden.

Druck zur Konformität
Im Fall von Homosexualität scheint dieser Ausschlussmechanismus so mächtig zu sein, dass viele Menschen und vor allem Männer es nicht riskieren wollen, als nicht normal wahrgenommen zu werden. Die eigene Sexualität lässt sich auch leichter verstecken, als die vermeintliche ethnische Zugehörigkeit oder Herkunft. Auffällig ist aber, dass Homophobie vor allem Mannschaftssportarten und Männer betrifft. Dort, wo AthletInnen auf sich allein gestellt sind, ist Homosexualität genauso weitgehend unproblematisch wie bei Frauen-Teams.
„Die oft unterstellte Selbstverständlichkeit von Homosexualität im Frauenfußball ist dabei im Übrigen nicht unbedingt befreiender, sondern nur auf andere Weise einschränkender“, schrieb Nicole Selmer jüngst im Ballesterer. Um das „Mannweiber-Klischee“ zu widerlegen, posierten Spielerinnen der deutschen Bundesliga anlässlich der Frauen-Fußball WM für den Playboy. Kristina Gessat, eine der Spielerinnen, erklärte dazu: „Die Botschaft ist: Seht her, wir sind ganz normale - und hübsche – Mädels.“ Ein Outing andersherum, nämlich als „hetero“ quasi.

Richtige Kerle
Outings von homosexuellen Spielern sind noch immer die Ausnahme. Gerade in Nationalsportarten sind diese schwierig, da sie immer eng mit Vorstellungen von Männlichkeit verbunden sind. Die Männlichkeit, die im Fußball gefeiert wird, ist eine, die nicht einmal gesellschaftlich dominant ist: vorherrschende Vorstellungen von Männlichkeit bis zur Wirtschaftskrise stark mit dem Typus des Managers verknüpft. Männer, wie man sie eher in den Vorstandsetagen der Fußballvereine findet.
„Die Männlichkeit, die im Stadion zelebriert wird, findet sich auf dem Rasen wieder und entspricht mehr einer Working-Class-Männlichkeit“, erklärt Georg Spitaler, Politikwissenschaftler an der Uni Wien und setzt fort: „In vielen Ländern ist es nach wie vor so, dass Fußball ein Sport ist, der es unterschiedlichsten Männern ermöglicht, sich selber männlich zu machen – egal, wie sie selber aussehen oder welche soziale Stellung sie haben. Wenn du zum Fußball gehst und dich als Fußball-Fan outest, dann stellt von vornherein niemand deine Männlichkeit in Frage.“

„Schwul“ heißt nicht männlich
Um genau dieses Behaupten von Männlichkeit geht es, wenn Spieler oder Fans der gegnerischen Mannschaft oder auch die Schiedsrichter als „schwul“ bezeichnet und ihnen diese Männlichkeit abgesprochen wird. „Schwul“ dient in diesem Kontext als Metapher für nicht stark, für nicht männlich. Ironischerweise erlaubt Fußball auch sehr viele „unmännliche“ Verhaltensweisen. Die Geschichte des Fußballs ist eine von weinenden Männern, von Männern, die aufeinanderliegen, sich innig umarmen. Die Ironie darin bleibt aber oft unerkannt.  Sport schafft einen Rahmen, um geschlechterspezifisch „unangebrachte“ Verhaltensweisen auszuleben, bleibt in deren Bewertung aber ambivalent. Spitaler glaubt aber, dass sich diese Männlichkeitsbilder allmählich verändern: „Fußball ist Teil einer globalen Unterhaltungskultur, in der in anderen Bereichen bereits aufgeklärtere Männlichkeitsbilder kommuniziert werden.“

Glasnost in der Kurve
Diese Bewegung scheint tatsächlich an Fahrt aufzunehmen. Ob dazu die Coming-outs prominenter Spieler wirklich viel beitragen oder einfach nur eine Form der Sensationslust bedienen, lässt sich schwer sagen. Im Zweifelsfall wohl beides. Es zeigt aber auch, dass die Arbeit von Vereinen und vor allem progressiven Fangruppen, die unermüdlich gegen Rassismus und Homophobie auftreten, allmählich Früchte trägt. Auch die nationalen Verbände bemühen sich um eine Normalisierung und ein diskriminierungsfreies Klima. So schickte der niederländische Fußballverband ein eigenes Boot, angeführt von Teamchef Louis van Gaal, zur Gay Pride Parade  Amsterdam. Es bleibt abzuwarten, wann die ersten österreichischen Kicker an der Regenbogenparade teilnehmen werden.

Erschienen als Mediaplanet Beilage „Queer Life“ im Standard und hier.

Hirtenstab und Regenbogen


Im Sommer letzten Jahres ließ Papst Franziskus mit seinen Aussagen zu Homosexualität aufhorchen. Große Neuerungen blieben aber aus. Wir sprachen mit Andreas Raschke, Vorstandsmitglied des Vereins Homosexuelle und Glaube über Putin, Papst und Priester. Homosexuelle und Glaube ist ein eigenständiger Verein, der sich seit mehr als 20 Jahren für die Gleichberechtigung von LGBT-Personen in Glaubensgemeinschaften einsetzt.

Andreas Raschke - HuG- Wien, Homosexuelle und Glaube, Ökumenische Arbeitsgruppe - BILD: Andreas Raschke

Homosexualität ist in Ordnung, wenn sie nicht praktiziert wird. Das hat sich auch unter Papst Franziskus nicht geändert.
Ich würde das noch ein bisschen zuspitzen und sagen: Solange sie nicht publik wird. Die homosexuelle Handlung an sich wird im katholischen Katechismus als Sünde betrachtet, die homosexuelle Neigung als ungeordnet. Das ist natürlich eine negative Sicht, wird aber in der Praxis oft nicht so gehandhabt. Neu ist unter Franziskus, dass der Status quo eine Rückendeckung von oben hat. Die Verantwortlichen in der Kirche dürfen nun aus pastoraler Sicht entscheiden.

Ist der Leidensdruck unter gläubigen Homosexuellen besonders hoch? Zu wissen, dass die Religion, an die ich glaube, und die Glaubensgemeinschaft, der ich angehöre, mich nicht so akzeptiert, wie ich bin?
Auch Heteros haben nicht zu allem, was sie tun, den Sanktus ihrer Religionsgemeinschaft. Vorehelicher Sex zum Beispiel ist ja nach katholischer Lehre auch nicht erlaubt. Tatsächlich hängt die Akzeptanz sehr stark von der jeweiligen Pfarre ab. In manchen können sich Menschen auch in einer Beziehung lebend gut aufgehoben fühlen. Im Hinterkopf ist dabei aber schon noch immer die Angst, dass das nicht klappt. Eine Konsequenz davon ist, dass viele Menschen aus der Kirche austreten.

Es gibt aber auch praktizierende Katholiken in eurer Gruppe?
Einige unserer Mitglieder sind auch selbst Priester oder Ordensleute, die für sich einen Weg gefunden haben. In manchen Orden wird das akzeptiert, wenn auch nicht offiziell, aber den Leuten werden da keine Steine in den Weg gelegt. In anderen Kirchen ist die Situation anders. In den evangelischen ist es offiziell möglich, dass ein Pfarrerpaar mit Zustimmung der Gemeinde im Pfarrhaus lebt. In sehr konservativen evangelischen Gemeinden würde sich ein offen lebender homosexueller Pfarrer aber auch nie bewerben.

Im Alten Testament gibt es vier, im Neuen Testament drei Passagen, die sich mit Homosexualität beschäftigen. Im Koran eigentlich gar keine. Die homophoben Haltungen können also nur schwerlich mit den religiösen Texten begründet werden.
Ich habe das Gefühl, dass in Krisenzeiten dogmatische Positionen an Zulauf gewinnen. Das gilt auch für die Religion. Eine offene Religion, die nicht in allen Punkten Sicherheiten bietet und eigenes Denken verlangt, ist natürlich in Krisenzeiten weniger attraktiv, weil sie keine einfachen Sicherheiten offeriert. Ich denke, wenn in Russland die ökonomische Situation besser wäre, würde diese unheilige Allianz zwischen Putin und der Orthodoxen Kirche schwächer sein und es wären weniger restriktive Maßnahmen gegen LGBT-Personen möglich.

Das ist wahrscheinlich ein Phänomen, das nicht neu ist?
Ja, das galt sicher auch für das Osmanische Reich und den Islam. In manchen Bereichen ist dort das, was wir hier unter Aufklärung verstehen, schon im Mittelalter passiert. Im Zuge der spanischen Reconquista und der Kreuzzüge gewannen dann aber wieder die konservativen Strömungen an Bedeutung. Es gab also schon mal eine liberalere Phase. Im Moment ist Homosexualität im Islam und in der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich praktisch nicht akzeptiert.

Wäre es nicht auch denkbar, ein anderes Fundament für die Sexualethik heranzuziehen als diese alten und ja immer auch kontextgebundenen Texte?
Ein anderes Fundament ist schwierig. Der Text gibt den Sinn und Inhalt einer Religion wieder, ist aber auch Ausdruck des kulturellen Kontexts, in dem er entstanden ist. Man kann versuchen, diesen kulturellen Entstehungskontext vom Kern einer Religion zu lösen. Vor allem in den reformierten Kirchen gibt es Theologen, die das machen. Zum Beispiel Kurt Lüthi. Er bezeichnete Homosexualität als eine Schöpfungsvariante. In der Schöpfung ist beides vorhanden – Homosexualität und Heterosexualität – und die Schöpfung ist gut. Mit dem, was in ihr vorhanden ist, muss man umgehen, nicht es grundsätzlich ablehnen. Diese Überlegung gefällt mir sehr gut.

Erschienen als Mediaplanet Beilage „Queer Life“ im Standard und hier.