Dem Kirchengruppen- und Pfarrcafé-Dasein ist der faire Handel
mittlerweile entwachsen. Die der Idee innewohnende Spannung, über den
Markt dessen Auswirkungen bekämpfen zu wollen, ist aber geblieben.
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| BILD Fairtrade Österreich / Stefan Lechner - Kaffeebohnen in Costa Rica |
»Fairer Handel hat als subversive Idee angefangen: Solidarität mit
nationalen Befreiungsbewegungen, wie zum Beispiel bei Nicaragua-Kaffee,
und die Forderung nach gerechten Weltmarktstrukturen«, erklärt Oliver
Pye, Südostasienforscher an der Universität Bonn.
Bricht diese enge Bindung an sozialen Bewegungen weg, dann werde fairer
Handel vorwiegend zu einer »professionellen Vermarktungsstrategie«, die
hierzulande nicht mehr primär an politischer Aktion, sondern an
entpolitisierten Kaufentscheidungen anknüpft.
Die Nachfrage nach einem Konsum mit gutem Gewissen wächst. Mit dieser auch Fairtrade,
eine der ersten und größten Organisationen in diesem Bereich, die
überdies ihr 20-jähriges Jubiläum in Österreich feiert. »Knapp 1.000
Kleinbauernkooperativen und Plantagen arbeiten weltweit unter den
Fairtrade-Standards. Das sind rund 7,5 Millionen Menschen in 66 Ländern,
die vom fairen Handel profitieren«, führt Veronika Polster,
Pressesprecherin von Fairtrade Österreich, aus. Der weltweite Gesamtumsatz liegt mittlerweile über fünf Milliarden Euro.
Rohstoffexport aus dem Süden
»Mehr Wertschöpfung im Süden zu schaffen, ist nach wie vor erklärtes
Ziel des Fairen Handels«, sagt Antje Edler, Geschäftsführerin Forum Fairer Handel.
Der Export landwirtschaftlicher Rohstoffe – es gibt Ausnahmen wie
pakistanische Fairtrade-Sportbälle – ist aber vorherrschend. Ein Gros
der Veredelung und damit der Wertschöpfung findet in den Absatzmärkten
statt. Gegen eine Weiterverarbeitung im Süden sprechen oftmals
praktische Hindernisse oder geringe Rentabilität, vor allem aber auch
protektionistische Strategien in den Importländern. »Vielen
Produzentengruppen bleibt nichts anderes übrig, als Rohstoffe zu
exportieren, wenn sie überhaupt den Markteintritt in den
Industrieländern schaffen wollen«, resümiert Veronika Polster. Zölle auf
Rohstoffe sind meist gering, für weiterverarbeitete Produkte dagegen
ungleich höher. Zusätzlich stützen die Industriestaaten ihre eigene
Agrarproduktion mit riesigen Summen: die EU-Agrarsubventionen betragen
beinah das Neunfache des weltweiten Fairtrade-Umsatzes.
Mehr Markt, weniger fair?
Nicht nur der Protektionismus der Industriestaaten gibt Anlass zur
Kritik. »Dass Lidl und Dole auch Fair-Produkte führen und verkaufen, ist
eine Perversion des fairen Handels. Strukturelle Ausbeutung wird damit
fortgeführt und mit dem Label dann noch legitimiert«, kommentiert Oliver
Pye die Fairtrade-Kooperation mit Konzernen. Dole würde nun neben der
klassischen »Ausbeutungsbanane« auch fair gehandelte vertreiben. Auch
bei Lidl liegen die Dinge ähnlich: Folgt man der Gewerkschaft Verdi,
dürfte der Diskonter selbst nie ein solches Zertifikat erhalten. Lidl
ist für seine Anti-Gewerkschafts-Politik bekannt – mit
Fairtrade-Statuten zwar unvereinbar, aber dennoch unerheblich: Es werden
Produkte und nicht Unternehmen zertifiziert. Die Zusammenarbeit mit
Konzernen öffnet zwar größere Märkte, bindet den Fairen Handel aber auch
stärker an eine Logik, deren Auswirkungen man eigentlich bekämpfen
will.
So sorgt auch die Möglichkeit eines Zertifikaterwerbs durch Plantagen
für Bedenken. Dazu habe man sich entschieden, so Verena Polster, »um
die problematischen Produktionsbedingungen in diesem Bereich zu
verbessern und dem Bedürfnis von Millionen von Landarbeitern nach
besseren Lebensbedingungen gerecht werden zu können.« Kaffee- und
Kakaoanbau bleibt aber auf Kooperativen beschränkt. Der Markt könne ein
Mehrangebot durch Plantagen-Produktion nicht aufnehmen. Das würde
ansonsten zu einer Schwächung der Stellung von Kleinbauern führen. Die
Studien von Maria Tech, Soziologin an der Ruhr-Universität Bochum,
zur Roiboos-Teeproduktion in Südafrika zeigen, dass das in Sektoren mit
paralleler Kooperativen- und Plantagen-Produktion eine reale Gefahr
ist.
Organisation als Gegenmacht
Die Stärke von Fairtrade liegt vielleicht gerade in jenen Aspekten,
die weiter von der Marktlogik entfernt sind oder ihr entgegenlaufen.
Durch den Fairtrade-Preis werden Zwischenhändler ausgeschaltet, die
Schwankungen des Weltmarkts abgeschwächt und Projekte finanziert, die
ganzen Communities zugute kommen. Antje Edler hebt aber auch die Rolle
der Organisation der Bauern als zentrales Entwicklungsinstrument im
Sinne eines »Empowerment« hervor. Die Anregung zur Selbstorganisation
der Produzierenden ist für Sebastian Nessel, Soziologe an der Universität Graz,
der wertvollste Beitrag zu gerechteren Verhältnissen. Damit wird nicht
nur die Marktmacht der Produzierenden gestärkt – es entstehen darüber
hinaus neue Initiativen, Einkommens- und Absatzmöglichkeiten. Die
Stabilisierung von Lebensverhältnissen sei aber nicht genug, um einer
Fortschreibung bestehender Klassen- und Geschlechterverhältnisse
entgegenzuwirken, so Nessel. Es brauche Perspektiven, schreibt Hanns
Wienold, Soziologe an der Universität Münster,
um eine Lebensform, die Menschen nicht freiwillig gewählt haben, zu
überwinden. In Bezugnahme auf Marx erklärt er diesen Anspruch: »Klar war
er darin, dass eine Welt nicht gerecht sein kann, in der einige ihr
Leben lang Kaffee, zu welchem Preis auch immer, für andere produzieren.«
Erschienen in Biorama #24 und hier.
