Die Vertreibung von zigtausenden Menschen, die Zerstörung von
Ökosystemen, und die Privatisierung natürlicher Ressourcen sind einige
der zentralen Nebenwirkungen der »grünen« Wasserkraft. Warum gerade der
Klimaschutz ihr eine Renaissance beschert, erklärt uns Ulrich Eichelmann
von der NGO Riverwatch.
| Der Balbina Stausee setzt 20-mal so viele klimagefährdende Gase frei wie ein Kohlekraftwerk mit gleicher Leistung. BILD Riverwatch |
BIORAMA: Wasserkraft hat wieder ein sehr positives Image. Das war aber nicht immer so?
Es hat eine Zeit gegeben, da haben wir weltweit Staudämme recht
erfolgreich bekämpft: Hainburg in Niederösterreich 1984, Nagymaros in
Ungarn 1989, in Frankreich, Polen und den USA. In Indien und Brasilien
gab es große Aufstände von den betroffenen Menschen. Da ist nicht mehr
viel gebaut worden. Die Weltbank hat daraufhin die Finanzierung
eingestellt. Studien hatten ergeben, dass die Projekte alle sehr viel
versprechen, aber nur wenig halten. Das Ganze hat damals zur Einsicht
geführt: Wasserkraft zerstört mehr, als sie bringt. Das war auch in
Österreich so. Wenn hier jemand Wasserkraft gesagt hat, dann hat jeder
an Hainburg gedacht. Durch die Klimadebatte hat sich das massiv
geändert. Wasserkraft ist plötzlich kein Problem mehr, sondern Teil
einer Lösung.
Aber Wasserkraftwerke haben zumindest eine bessere CO²-Bilanz als konventionelle Kraftwerke?
Die Stauseen der Welt produzieren pro Jahr genauso viele
klimaschädliche Gase wie der gesamte Flugverkehr. Das liegt vor allem am
Methanausstoß. Der entsteht in sauerstoffarmem Umfeld, wenn Pflanzen
vermodern. Deshalb ist das mit der Klimaneutralität so eine Geschichte.
Man muss ja auch noch den ganzen Beton einrechnen. Dazu kommt noch die
Abholzung von Wäldern für den Dammbau, die Errichtung von Straßen und
Stromleitungen. Die Errichtung ist ein einmaliges Ereignis, aber der
Methanausstoß geht ewig so weiter. Selbst wenn man der Wasserkraft einen
Beitrag zum Klimaschutz zurechnet: Ist die CO²-Reduktion über alles zu
stellen? Ist es gerechtfertigt, die Natur zu opfern, um CO² zu
reduzieren? Ist es gescheit, Naturzerstörung mit Umweltschutz zu
argumentieren? Das kann nicht sein. Du kannst nicht die Erde zerstören,
um die Luft zu retten. Klimaschutz betreibt man doch, um das zu retten,
was auf dem Planeten lebt.
Welche Probleme lassen sich dann mit Wasserkraft lösen?
In Wahrheit kaum welche. Jedes Wasserkraftwerk zerstört einen
Lebensraum und die Flüsse sind die Lebensadern unseres Planeten.
Staudämme sind wie eine Verkalkung unserer Arterien. In der öffentlichen
Meinung wird das aber nicht so gesehen, im Gegenteil. Ich hab schön
langsam das Gefühl, egal wie die Frage ist, die Antwort ist immer:
Staudämme! Klimaschutz und CO²-Reduktion? Staudämme. Flauten in der
Windenergie ausgleichen? Staudämme. Hochwasser? Staudämme.
Trinkwasserproblem in der Subsahara? Mehr Staudämme. An die negativen
Folgen denkt man kaum. Deshalb tut sich die Wasserkraft weltweit derzeit
so leicht und die Firmen, die dranhängen, boomen wie nie zuvor. Flüsse
werden heute nur noch als Ressource gesehen. Die Claims werden
abgesteckt. Die Chinesen haben Afrika, Brasilien will da jetzt auch hin.
In Chile gibt es kanadische Unternehmen.
| Die Mesopotamischen Sümpfe werden zur Wüste, wenn Ilisu und andere Staudämme am Oberlauf des Tigris gebaut werden. BILD: Riverwatch |
Ist Wasserkraft so lukrativ?
Viele Leute, auch Private oder Kommunen, investieren nur mehr ungern
in Derivate oder Ähnliches, sondern in »grüne« Energieformen. Beim
Wasser ist ja auch viel von Privatisierung die Rede, damit ist aber
meist Trinkwasser gemeint. Die weltweit viel größere Privatisierung
findet aber über Staudämme statt. Bevor ein Staudamm entsteht, fließt
ein Fluss für die Allgemeinheit. Da kann jeder hingehen. Gilt natürlich
auch für die Tiere. In dem Augenblick, in dem ein Staudamm genehmigt
wird, ist dieses Recht privatisiert. Das Recht zur Nutzung der
Wasserkraft und der Umgestaltung obliegt dann dem Antragsteller.
Was sind die umweltrelevanten Auswirkungen der Wasserkraft?
Wasserkraftwerke beeinflussen immer auch das Grundwasser. Auf der
einen Seite stauen sie nach oben hin. Das führt zu verschlechterter
Wasserqualität. Weniger Sauerstoff, weniger Selbstreinigung. Und
unterhalb fehlt der ganze Schotter, der ja auch geblockt wird und nicht
mehr durch kann. Da fehlt das Geschiebe. Der Fluss gräbt sich deshalb
unterhalb der Staumauer immer tiefer ein. Die Salzach in Österreich
liegt mittlerweile viele Meter tiefer als vor dem Staudammbau. Das
Grundwasser geht mit. Es läuft immer zum tiefsten Punkt. Deshalb hat man
oft so irre Grundwasserpegelabsenkungen durch Staudammbauten. Das hat
natürlich massive Auswirkungen auf die gesamten Ökosysteme, auch auf die
Landwirtschaft.
Mit der Fischtreppe ist es also nicht getan, wenn man diese Auswirkungen begrenzen will?
Das ist alles Blödsinn. Sagen wir, es kommen 20 Prozent der Fische
via Fischtreppe über den Damm. Und zehn Kilometer später kommt der
nächste Staudamm bei dem dann wieder nur 20 Prozent durchkommen. Es ist
ja auch nicht so, dass alle Fische immer nur flussauf wollen. Die kommen
ja auch irgendwann wieder runter und geraten dabei in die Turbinen und
werden zerhackt. Das bekannteste Beispiel im deutschsprachigen Raum sind
die Aale.
| Protest: Ulrich Eichelmann (rechts) demonstriert mit Betroffenen gegen den Bau von Staudämmen. BILD: Riverwatch |
Und die sozialen Auswirkungen der Wasserkraft?
Survival International
hat sich 250 Staudammprojekte angesehen und festgestellt, dass 500 bis
750 Millionen Menschen unter den Auswirkungen dieser Staudämme leiden.
40 bis 80 Millionen Menschen sind durch Staudämme vertrieben worden. Bis
2020 sollen laut einer United-Nations-Studie weitere 50 Millionen
Menschen durch Hochwasser bedroht sein. Nicht, weil der Meeresspiegel
steigt, sondern weil die Deltas schrumpfen und damit der Schutz des
Hinterlandes reduziert wird. Die Deltas schrumpfen, weil die Staudämme
die Sedimente zurückhalten, die das Delta aufbauen. Doch das hört man
fast nie. Aber wenn im Pazifik einige tausend Leute vom steigenden
Wasserspiegel bedroht sind, dann schreien alle auf. Ich will das nicht
verharmlosen. Aber da stimmt was nicht in der Wahrnehmung.
Wie sind EU-Normen wie die Wasserrahmenrichtlinie einzuschätzen?
Vom Prinzip her ganz gut. Wenn solche Regelungen am Markt kommen, ist
das ein Schock für die Wirtschaft und für die NGOs eine große Hilfe.
Bei bestehenden Wasserkraftwerken greift die Wasserrahmenrechtslinie
aber nicht, denn die sind ausgenommen. Bei geplanten Staudämmen kann es
allerdings eine Hilfe sein. Natura2000 auch. Das ist ein
Schutzgebietskonzept. Jedes Mitgliedsland muss solche Gebiete ausweisen.
Es gibt aber immer Ausnahmegenehmigungen. Die Wasserkraft versucht
gerade, diesen Dammbruch zu schaffen, Wasserkraftwerke in
Natura2000-Gebiete zu bauen. Eine dieser Fälle ist die Schwarze Sulm in
der Steiermark. Da gibt‘s jetzt in einem Natura2000-Gebiet eine
Genehmigung für einen Staudamm. Ich weiß nicht, ob es so etwas
international schon mal gegeben hat. Aber wenn das durchgeht, dann freut
sich die Staudamm-Lobby. Das schafft einen Präzedenzfall. Die EU hat
ein Vertragsverletzungsverfahren angedroht, sollte dort wirklich gebaut
werden.
Brauchen wir nicht mehr Wasserkraft, um den steigenden Stromverbrauch zu decken?
Das Problem liegt nicht in der Energieproduktion, sondern im
Energieverbrauch. Den müssen wir um die Hälfte reduzieren. Das ist die
Voraussetzung dafür, unseren Energiebedarf mit regenerativen
Energiequellen decken zu können. Wenn das Wachstum bleibt, ist das aber
völlig unmöglich. Bis dahin sollten wir Masterpläne machen, einen
Flächennutzungsplan für Flüße, in dem die Gebiete ausgewiesen sind, die
wir nicht zerstören wollen. Diese No-Go-Areas sollten wir national und
auch international ausweisen. Sonst, fürchte ich, werden wir in 20
Jahren auch den letzten Fluss vernichtet haben: im Namen des
Fortschritts, des »grünen« Wachstums und des Klimaschutzes.
| Ulrich Eichelmann. BILD: Riverwatch |
Ad Personam
Ulrich Eichelmann ist Umweltschutzaktivist der NGO
Riverwatch, die sich für den Erhalt der letzten, intakten Flussgebiete
einsetzt. Im Zuge der Debatte um den Klimawandel wurde Wasserkraft als
»grüne« Energiequelle wiederentdeckt, was den Bau von Staudämmen neu
anfachte. In dem im Dezember 2012 erschienenen Film »Climate Crimes«
dokumentiert Eichelmann, wie unter dem Denkmantel des Klimaschutzes die
Zerstörung der Natur vorangetrieben wird.
Erschienen in Biorama #25 und hier.